Zitationsvorschlag für Working Paper:
Yıldız, Safiye/Stauber, Barbara (2014): Kategoriale Kritik: Beiträge der Geschlechterforschung und der rassismuskritischen Forschung zur Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit
URL: www.portal-intersektioanlitaet.de [Datum Zugriff]

Kategoriale Kritik: Beiträge der Geschlechterforschung und der rassismuskritischen Forschung zur Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit

von Safiye Yıldız und Barbara Stauber

Es wird derzeit viel zu Intersektionalität und Diversität geschrieben und debattiert (vgl. etwa die Beiträge auf dem Portal Intersektionalität; Riegel 2013; Winker/Degele 2009). Diese Beiträge betrachten wir – jenseits ihres spezifischen Gehalts – als hochrelevantes Diskursfeld, mit dem vor allem eines im Bewusstsein gehalten wird: dass die jeweils relevanten Wissensgrundlagen für die jeweiligen sozialen Differenzlinien, um deren Verschränkung es im Kontext von Intersektionalität und Diversität geht, zur Kenntnis genommen, damit auch anerkannt und aus dem jeweiligen Entstehungskontext heraus verstanden werden müssen. So sind mit diesen verschiedenen, zueinander in Wechselwirkung stehenden Differenzlinien unterschiedliche Historien und unterschiedlich prononcierte Machtkonstellationen verbunden, die im Nachdenken über Intersektionalität auch aufeinander bezogen werden sollten – so etwa im Hinblick auf Rassismus, die historische Vergewisserung über ein postkoloniales Erbe und seine spezifischen Ausblendungen, oder im Hinblick auf Genderismen die historische Vergewisserung über patriarchale Gesellschaftsformationen und ihre tiefe Verankerung in „selbstverständlichen“ Grundüberzeugungen von Geschlecht (Ridgeway/Correl 2004).

Unser Beitrag beruht auf diesen Debatten um Intersektionalität und Diversität. Er nimmt sich im Verweis auf Intersektionalität die Freiheit heraus, sich auf eine kursorische Rekonstruktion von nur zwei Differenzsetzungen zu beschränken: Race und Gender. Diese Beschränkung sehen wir insofern als gerechtfertigt, als auch die intersektionelle Analyse ein prinzipiell unabgeschlossenes Unterfangen bleibt, trotz aller Versuche, alle für einen konkreten Kontext relevanten Differenzlinien einzubeziehen. Somit würde auch Ausschluss produziert, wenn wir 3 oder 4, oder 13 Kategorien heranziehen würden. Entgegen dieses Vollständigkeitsmythos möchten wir Intersektionalität mit Christine Riegel (2013) als heuristischen Zugang fassen, mit dem die permanente Aufforderung verbunden ist, möglicherweise ausgeschlossene bzw. nicht direkt benannte Lebenslagen mitzudenken – einen Zugang, der gleichermaßen für die Forschung wie auch für die Praxis wichtig ist. In beiden Feldern bedarf es einer reflexiven Kompetenz im Hinblick auf (potentielle) kategoriale Ausschlüsse oder Einbezüge (Mecheril 2006).

Mit der Konzentration auf Genderismen und Rassismen verbinden wir auch einen bewussten Verzicht auf Vereinnahmung – die beiden Differenzsetzungen haben eine jeweils eigene, allerdings auch ineinander verwobene Geschichte, eine jeweilige Bewegungsgeschichte, verbunden mit und befruchtet durch gegenseitig aneinander geleistete Kritik (vgl. dazu Fuchs/Habinger 1995).

Gleichzeitig wollen wir in diesem Beitrag bestimmte Homologien in beiden Ansätzen herausarbeiten, die eine erweiterte Möglichkeit darstellen können, über Intersektionalität und Diversität nachzudenken: Rassismen und Sexismen rasten deshalb (so gut) ineinander ein, weil in beiden wissensgestützte Strategien, Essentialisierungen, binäre und zugleich hierarchische Logiken, soziale Hierarchisierungen und Naturalisierungen dominieren, die strukturelle und soziale Ungleichheitsverhältnisse ordnen. Dies kann gesagt werden, ohne die für „gender“ und „race“ jeweils spezifischen historisch-theoretischen Kontexte und praktischen diskriminierenden Konsequenzen zu übergehen.

Die Analyse homologer Strategien beruht darauf, herauszufinden, wie die gesellschaftlichen Herrschafts- und Machtverhältnisse durch Einsetzung beider kategorialer Differenzierungen funktionieren. Indem Frauen und Migrant_innen durch unterschiedliche symbolische und politische Repräsentation als differente homogene Einheiten hervorgebracht werden, können Segmentierungen und Diskriminierungen auf institutionellen und strukturellen Ebenen unterschiedlich erfolgen und das Beziehungsverhältnis zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen brüchig und widersprüchlich strukturieren. In diesem Gefüge ist die Soziale Arbeit angesiedelt und es ergibt sich die Frage, wie sie einerseits von diesen gesellschaftsstrukturellen „Konfigurationen“ (Lenz 1995: 36) von Ungleichheiten, Diskriminierungen und Rassismen geprägt ist und wie sie andererseits auf diese reagiert und verändernd wirken kann. Reaktion, Reflexion und Veränderung setzen eine gesellschaftskritische Haltung gegenüber dem ungleich Gegebenen voraus, um als Handlungs- und Steuerungsinstanz zu funktionieren sowie auf die ungerechten Handlungen und Prozesse innerhalb der sozialen, institutionellen und politischen Arenen (Fraser 1989) wirken zu können. Unsere kursorische historisch-rückblickende Rekonstruktion kategorialer Kritik kann als ein Versuch gesehen werden, uns der spezifischen gesellschaftstheoretisch-kritischen Grundlagen zu vergewissern und damit eine Perspektive für die Soziale Arbeit aufzuzeigen. Gleichzeitig geht es darum zu zeigen, wie beide Kategorien „miteinander im sozialen und gesellschaftlichen Ungleichheitsgefüge verwoben und sozial wirksam“ werden, welche „aktualempirischen gesellschaftlichen Erscheinungsformen“ (Riegel 2011: 177) als Ausfluss historischer Artefakte zum Tragen kommen und was dies perspektivisch für die Soziale Arbeit bedeutet. Kritik können wir hierbei mit Lorey „im Hinblick auf politische Praxen [aber auch auf die Soziale Arbeit (Yıldız/Stauber)] als eine bestimmte Form der Verweigerung verstehen, als Entziehen und Entgehen. In diesem Kontext bedeutet Kritik nicht Negation, nicht Rückzug in etwas ganz anderes, sondern die Konstituierung eines Vermögens zu handeln“ (Lorey 2012: 1).

Die kategoriale Kritik beschäftigt sich damit, wie Kategorienfixierungen als Instrument zur Konfiguration von Differenz und Ungleichheit benutzt werden (Lenz 1995). Sie dekonstruiert somit Kategorien im Hinblick auf ihren sozialen Entstehungsprozess und auf ihre soziale Funktion, anstatt sie als fixe Bestandteile von Forschung zu verstehen. Daher werden die Kategorien „Geschlecht“ und „Rasse“ als analytische Kategorien relevant, über die Kritik an gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnissen, an der Ökonomisierung der Geschlechterunterschiede und an der Rassifizierung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch kulturalisierte und rassialisierende Differenzkonstruktionen (vgl. Borst/Casale 2007; Scholz 2005) formuliert wird (vgl. dazu Soiland 2012). Unser Zugang streift Methodologien und Paradigmen des Dekonstruktivismus, der Genealogie und des Postkolonialismus, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Unser Beitrag, der auf der Basis eines gemeinsamen Vortrags auf dem 36. Tübinger Sozialpädagogiktag 2012 entstanden ist, gliedert sich in drei Teile: Wir wollen zunächst die jeweilige kategoriale Kritik der Geschlechterforschung und der rassismuskritischen Forschung herausarbeiten, um den historischen Beitrag und den aktuellen Reflexionsgewinn beider Zugänge für professionelle Haltungen und Handlungen in der Sozialen Arbeit bzw. für die sozialpädagogische Praxis genauer zu bestimmen. Hier nutzen wir die Figur der „immanenten Kritik“, wie sie Rahel Jaeggi (2009) für die Ideologiekritik wiederbelebt hat. Besonders hervorzuheben ist, dass diese Kritik ihre Vergewisserungen aus sozialen und politischen Bewegungen schöpft, dass sie in Praxis eingeflossen ist und weiterhin einfließt und nicht lediglich einer wissenschaftlichen Kritik bzw. disziplinären Diskurskritik zugute kommt. Dieser praktische Nutzen ist dabei kein ausschließliches Verdienst der feministischen Kritik oder der Rassismuskritik. Vielmehr verdankt Soziale Arbeit von Anbeginn ihre Entwicklung und Weiterentwicklung den Impulsen sozialer Bewegungen und ihrer theoretischen wie praktischen Beiträge:

„Historisch erfolgte die Entwicklung sozialpädagogischer Ideen in Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Sozialen Bewegungen und durch diese Bewegungen selbst (vgl. Maurer/Schröer 2011). Letztere bezogen sich auf (unterschiedliche) Verhältnisse sozialer Ungleichheit und klagten Gerechtigkeit ein, sie skandalisierten Armut und Ausgrenzung, entwickelten (in der Regel) eine tief greifende Kritik des Status Quo und entfalteten Visionen einer besseren Gesellschaft“ (Maurer 2012: 303, Herv i. O.).

Insofern sind auch die Perspektiven von „doing gender „ doing culture“, „doing ethnicity“ Ansätze, mit denen die Wechselbeziehungen der individuellen, intersubjektiven, institutionellen und strukturellen Ebene deutlich gemacht und somit auch Spielräume für Veränderung aufgezeigt werden können. Soziale Bewegungen, Gesellschaftskritik, Soziale Arbeit sind als relationale Größenordnungen zu sehen, die zu politischen und strukturellen Veränderungen herausgefordert haben und herausfordern, und die nur in ihrem Zusammenspiel gesellschaftlich relevant werden können.

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