Zitationsvorschlag für Schlüsseltext: Busche, Mart / Stuve, Olaf (2012): Intersektionalität und Gewaltprävention. URL: www.portal-intersektionalität.de [Datum Zugriff]

Intersektionalität und Gewaltprävention

 

Von Mart Busche und Olaf Stuve (Februar 2012)

 

Diesem Text liegen Reflexionen unterschiedlicher Projekte- und Praxiserfahrungen zugrunde, in denen es um intersektionale Erweiterungen von Bildungs- und Sozialarbeitsansätzen ging.1 Mit einer intersektionalen Perspektive ist der Anspruch verbunden gewesen, der Komplexität der Lebenswirklichkeiten von Menschen gerecht zu werden. Die gewaltpräventive Ausrichtung der Projekte ist mit dem Ziel verknüpft, die unmittelbar konkreten und gesellschaftlichen Verhältnisse derjenigen, mit denen wir arbeiten, weniger gewalttätig zu machen. Als Gewaltprävention werden sehr unterschiedliche Arbeitsansätze angeboten. Susanne Offen und Jens Schmidt (2008) kommen zu einer sicherlich noch unvollständigen Aufzählung einer gewaltpräventiven Angebotspalette, wenn sie „StreitschlichterInnen und Anti-Mobbing-AG, Deeskalationstrainings, Fan-Projekte und Sportfeste, AAT und CT, Elternarbeit und Sicherheitskonferenzen, Box-Trainings und Kletterkurse“ (S. 18) unter Gewaltprävention zusammenfassen. Diesen Angeboten ist ihrer Auffassung gemeinsam, dass sie gesellschaftsanalytische Impulse einer Politischen Bildungsarbeit, die sich auch mit Gewaltprävention befasst, ignorieren. Für Offen/Schmidt ist diese Ignoranz unverständlich, da ihrer Meinung nach gewaltpräventive Arbeit sich geradezu dazu anbietet „den Blick vom individuellen Erleben auf die strukturell-kulturelle Ebene zu erweitern“ (ebd., S. 19). Auch aus der Gewaltforschung sind spätestens seit Johan Galtungs Unterscheidung in direkte, sichtbare (körperliche und verbale) sowie indirekte, unsichtbare (strukturelle und kulturelle) Gewalt Anknüpfungspunkte gegeben, mit denen die individuelle und gesellschaftliche Ebene der Gewalt(prävention) verbunden werden. Doch wird diesem komplexen Gewaltverständnis eine schwierige pädagogische Operationalisierbarkeit vorgeworfen (vgl. ebd., S. 20). Bildung(sarbeit) hat aber gerade die Aufgabe, komplexe gesellschaftliche Verhältnisse zu vermitteln. Reduzierte Ansätze werden zudem den komplexen Wirklichkeiten ihrer Akteure kaum gerecht. Der Intersektionalitätsansatz bietet sich für eine weitergehende, komplexe Erweiterung gewaltpräventiver Arbeit an, weil mit ihm gesellschaftliche Diskriminierungen aufgrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Kategorisierungen in ihren Überkreuzungen und gegenseitigen Interdependenzen (Walgenbach 2007) zum Thema gemacht werden. Eine Reduktion auf interpersonale Gewalt, wie sie in gewaltpräventiven Projekten darüber hinaus oftmals mit einer Fokussierung auf Jugendliche als Zielgruppe einhergeht, ist mit einer intersektionalen Perspektive nicht möglich. Vielmehr werden komplexe, zum Teil widersprüchlichen Lebens- und Dominanzverhältnisse von Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen berücksichtigt. Darüber hinaus wird über die Unterscheidung von Galtung hinausgegangen, indem die Produktionsbedingungen gesellschaftlicher Kategorisierungen selbst und daran anschließenden Gewaltformen bearbeitet werden.2 Mit dem Begriff der epistemischen Gewalt (Castro Varela/ Dhawan 2003) versuchen wir diese Herstellungsbedingungen gesellschaftlicher Differenzierungen, Kategorisierungen und Grenzziehungen des Alltags zu erfassen. Im Folgenden beschreiben wir Intersektionalität als Analysemodel mit dem es möglich ist verschiedene Formen von Diskriminierungen und Gewalt auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedlich zu bearbeiten (1). Daran schließen wir den Begriff der epistemischen Gewalt an, mit dessen Einführung wir die gesellschaftlichen Grenzziehungen des Alltags problematisieren (2). Es folgen Beschreibungen von Widersprüchen in der Praxis (3) und machen abschließend Vorschläge zu intersektionalen Gewaltprävention auf der methodisch/didaktische Ebene (4). 


1 Intersektionalität als Analysemodell

In der pädagogischen Arbeit zum Thema Gewalt begegnen uns unterschiedliche Diskriminierungen, die sich überschneiden, sich gegenseitig verstärken oder abschwächen. Die Akteure wechselnden in den Dominanz-Beziehungen häufig die Positionen von Täter_innen und Opfern. Das Intersektionitätskonzept bietet eine Sprache, die dazu beiträgt solche simultanen Positionierungen innerhalb sozialer Kategorien wie Geschlecht, Sexualität, sozialer Klasse und ‚race‘ (an)zu-erkennen (vgl. Phoenix 2008, S. 23). Für pädagogische Arbeit bedeutet eine intersektionale Perspektive in der Lage zu sein, solche changierenden Dominanz- und Diskriminierungsverhältnisse auf unterschiedlichen Handlungsebenen der Akteure zu erkennen und jeweils differenzierte Handlungsstrategien dazu entwickeln zu können. In Bezug auf pädagogisches Handeln machen wir die Unterscheidung zwischen den Ebenen Subjektivierung, Chancengleichheit und unmittelbarer Diskriminierung.3 Die Subjektivierungsebene wird hier als die Herausbildung von Selbstkonzepten angesehen, mit denen Jugendliche sich selbst Kategorisierungen unterwerfen, indem sie zum Beispiel geschlechtliche Anforderungen erfüllen und in der eigenen Peer Gruppe reproduzieren. Dabei spielen Lebensvorstellungen, Geschlechterbilder, Zugehörigkeiten, Geschmäcker, Vorlieben, Zukunftsvorstellungen und nicht zuletzt die Vorstellung von „normal sein“ und sich als „abweichend erleben“ eine Rolle. Geschlecht und andere Zugehörigkeiten beeinflussen sich dabei gegenseitig. Normative Geschlechtervorstellungen sind immer auch schichtabhängig, ebenso wie Geschlecht aktuell in hohem Maße kulturalisiert wird. Geschlecht ist auf dieser Ebene gerade für Jugendliche höchst wirksam, aber auch Selbst-Ethnisierungen können verhandelt werden. Für den pädagogischen Umgang bedeutet diese Ebene, die ganz eigenen individuellen Selbstkonzepte mit allen Selbstattribuierungen ins Zentrum zu stellen. Dabei geht es nicht um Verurteilungen, wenn sich beispielsweise Mädchen und Jungen heteronormativ inszenieren, wohl aber um Angebote, dieses zu reflektieren und ins Gespräch darüber zu kommen, dass es kein Zufall sein mag, dass die Unterordnung unter geschlechtsbezogene Anforderungen (zum Beispiel Körperideale) mit allen schädlichen wie lustvoll besetzten Konsequenzen keine Zufälle darstellen, sondern vielmehr damit zu tun haben als Subjekte in einer Kultur der Zweigeschlechtlichkeit anerkannt zu werden. Das Jungen und Mädchen dabei Ressourcen auf unterschiedliche Arbeit und Weise entwickeln, stellt die eine Seite der Medaille dar, deren andere Seite der mehr oder weniger gewaltsam durchgesetzte Verlust anderer Eigenschaftsmuster und Handlungsmöglichkeiten ist.4

Als weitere Ebene bezeichnet Chancen(un)gleichheit die Frage von Privilegierungen bzw. Diskriminierungen aufgrund von sozialen Positionierungen. Welche Voraussetzungen führen zur Reproduktion von Ungleichheit? Hier sind es vor allem soziale Klassenunterschiede, die beispielweise zu unterschiedlich erfolgreichen Bildungswege für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Schichten im Vergleich zu bildungsnahen Milieus führen. Die Bildungsinstitutionen gleichen in Deutschland Unterschiede nicht aus, sondern setzen sie fort (Vgl. Maaz/Baeriswyl/Trautwein 2011). Soziale Klasse ist aktuell in hohem Maße ethnisiert - mit anderen Worten, ein hoher Anteil derer, die nicht „mehrheitsdeutsch“ sind, ist ökonomisch arm und kulturelles und soziales Kapital wird oftmals nicht gesellschaftlich anerkannt. Im Bildungskontext spielt der (Nicht-)Umgang mit Mehrsprachigkeit im bundesdeutschen Kontext eine besondere Rolle bezüglich der Frage der Nicht-Anerkennung von kulturellen Kapitalien. Neben der Entwicklung von pädagogischen Anerkennungsformen und positivem Feedback gegenüber Schüler_innen (vgl. Herwartz-Emden 2008, S. 105ff) ist auf dieser Ebene eine explizite Thematisierung von institutionell verankerten Hindernissen nötig, an die sich Widerstands- oder Empowermentstrategien anschließen können. Wichtig ist dabei, die oben angesprochene Subjektivierungsebene nicht zu vergessen, das heißt, den Teilnehmenden ihre Selbstkonzepte nicht zum Vorwurf zu machen, dennoch aber ein Ineinandergreifen dieser mit selbst-beschränkenden oder diskriminierenden Handlungsweisen kritisch zu bearbeiten. Förderprogramme stoßen dann leicht an ihre Grenzen, wenn beispielsweise „Fördermaßnahmen“ mit Othering-Prozessen verkoppelt sind bzw. Widerstände bei den Adressat_innen hervorrufen, weil deren Selbstkonzepte völlig ignoriert werden.

Von expliziter Diskriminierung als dritter Ebene sprechen wir dann, wenn sexistische, rassistische oder anders abwertende Umgangsweisen bestehen. Hier bedarf es pädagogisch klarer Haltungen gegenüber solchen Handlungen und Einstellungen. Eine ‚Skandalisierung‘ ist dann nötig, wenn diskriminierende und gewalttätige Umgangsweisen unter Jugendlichen als Normal angesehen werden. Beispielsweise werden gewalttätige Umgangsweisen unter Jungen oftmals mit einer essentialisierenden Sichtweise auf diese bagatellisiert (‚die seien nun mal so‘). Ihnen wird damit ein Recht auf körperliche Unversehrtheit allzu leicht abgesprochen. Es betrifft auch Handlungsweisen von Pädagog_innen selbst, wenn diese mit homogenisierenden Blick auf „die“ Jungen und „die“ Mädchen schauen und ihnen damit Eigenschaften zu- oder absprechen; ebenso betrifft das die Rede von „den Mädchen mit Kopftuch“ oder „den muslimischen, männlichen Jugendlichen“, die weniger geschlechterdemokratisch seien als die anderen. (Vgl. Yılmaz-Günay 2010, S. 15ff) Solche Sprech- und Zuschreibungsweisen werden als Diskriminierungen skandalisiert. Mit der benannten Subjektivierungsebene können solche Zuschreibungsprozesse insofern zusammenhängen, als dass Jugendliche sich diese nicht selten zu eigen machen, weil sie keine Chance sehen aus ihnen entlassen zu werden.

Eine Intersektionalitätsperspektive bietet eine Analyserahmen mit dem „a) auf der Ebene der (Diskriminierungs-)erfahrung; b) auf der Akteursebene (intersubjetive Praxis); c) auf der institutionellen Ebene (Institutionsregime) und d) auf der Ebene der Repräsentation (symbolisch und diskursiv)“ anzusetzen ist, wie es Helma Lutz mit Bezug auf Floya Anthias vorschlägt (Lutz 2008, S. 223).

Bezogen auf die Ebene der (Diskriminierungs-)erfahrungen geht es in einer intersektionalen Gewaltprävention darum ernst zu nehmen was z.B. Jugendliche berichten. Das Gefühl von Kindern und Jugendlichen in der Schule aus vergeschlechtlichten, ethnisierten oder kulturalisierten sowie schichtsbezogenen Gründen benachteiligt zu werden, kann nicht einfach als Ausrede umgedeutet werden. Widersprüchlichkeiten auf Seiten der Jugendlichen müssen deshalb aber nicht ausgeblendet werden. Sowohl geschlechtliche als auch ethnisierte Selbstkonzepte können problematisiert werden wie auch ein Weitergeben von Diskriminierungserfahrungen untereinander.

Jugendliche sollten über eine pädagogische Praxis vermittelt bekommen, dass pädagogische Räume auch Ort der Bildung solidarischer Gegenmacht bedeuten können. Dazu ist ein grundsätzlich solidarisches Verhältnis mit den Pädagog_innen Voraussetzung, was nicht heißt, dass Pädagog_innen nicht auch Kritik üben und Konflikte mit den Jugendlichen wagen sollten – Gegenteiliges ist der Fall.

Das führt in die zweite Ebene der intersubjektiven Praxis, der Akteur_innenebene, auf der verschiedene Beziehungssysteme besprochen werden: Wie gehen die Kinder/Jugendlichen miteinander um? Wie sind die Umgangsweisen zwischen Pädagog_innen und zum Beispiel Schüler_innen? Wie sind die Beziehungen zwischen den Pädagog_innen? Was wird jeweils unter Gewalt/ Diskriminierung verstanden? Eine normative Setzung von Seiten der Pädagog_innen, was unter Gewalt zu verstehen ist, kann kaum aufrechterhalten werden. Vielmehr muss eine Auseinandersetzung darüber geführt werden, was als Diskriminierung und Gewalt erfahren wird. Institutionell reproduzierte Ungleichheitsverhältnisse können dabei nicht ausgeblendet werden (Schule, Aufenthaltsrecht, Leistungsideologie und damit verbundene Umverteilungen von unter nach oben). Und schließlich kann daran anknüpfend auf der Ebene der Repräsentation (symbolisch und diskursiv) über die sozialen Kategorisierungen selbst gesprochen werden und wie über ‚Grenzpolitiken des Alltags‘ Formen sozialer Ungleichheit hergestellt werden.

 

2 Epistemische Gewalt – Eingreifen in die Produktionsbedingungen gesellschaftlicher Kategorisierungen

Mit dem Begriff der „epistemischen Gewalt“ aus der feministisch-postkolonialen Theorie wird direkt in die Produktionsverhältnisse von sozialen Kategorisierungen und den damit verbundenen Diskriminierungen eingegriffen. María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan (2003) bezeichnen mit epistemischer Gewalt die Produktion von dominanten Zentren und marginalisierten Rändern als „gewaltsame Beziehung“ (S. 270). Neben der ökonomischen Dimension der Ausbeutung sind es diese Beziehungen zwischen Zentrum und Rändern selbst, die grundlegend für deren jeweiliges Selbstverständnis sind. In diesem Verhältnis stellt sich das Zentrum als die Norm(alität) und damit als das Selbstverständliche her, von dem aus mit Ausgrenzungen und Disziplinierungen auf die Anderen (re)agiert wird. Das „Andere“ wird entweder ausgeschlossen oder zur Anpassung diszipliniert. Diese Produktionsbeziehungen in der Herstellung von ‚Normalität und Abweichung‘, von ‚Zentrum und Rand‘, von ‚dazugehörig und nicht-dazugehörig‘, von ‚mit Rechten ausgestattet und rechtlos‘, von ‚gehört und nicht-gehört werden‘, werden mit dem Begriff der „epistemischen Gewalt“ beschrieben. Die hierarchischen Anordnungen werden über Gewalt und Diskriminierung stabilisiert bzw. reproduziert und können im Extremfall in die Eliminierung der Anderen münden. Die Achsen der Differenz, entlang derer epistemische Gewalt verläuft, sind unter anderen Geschlecht, Sexualität, ‚race‘ und Klasse. Castro Varela/Dhawan argumentieren konsequent für die Auflösung der Zentrum-Ränder-Dichotomie und verwehren sich dabei vehement gegen eine Verklärung der Marginalität.

Innerhalb des Intersektionalitätskonzepts stellt der Begriff der „epistemischen Gewalt“ eine Möglichkeit dar, direkt in die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse von sozialen Kategorisierungen und damit zusammenhängender Positionierungen eingreifen zu können. Anders als mit der von Galtung bezeichneten Unterscheidung in strukturelle und kulturelle Gewalt, mit der bereits geronnene Formen bezeichnet werden, die damit für die Akteure (scheinbar) unsichtbare, weil gesellschaftlich normalisierte Eigenschaften darstellen, bewegen wir uns mit dem Begriff der „epistemischen Gewalt“ direkt in deren permanenten Herstellungsmechanismen. Die Produktionsbedingungen der Grenzpolitiken des Alltags werden sicht- und bearbeitbar.

In den gewaltsamen Beziehungen zwischen ‚Zentrum‘ und ‚Rand‘ spielt die Frage der Artikulation von Interessen und das Gehört-werden eine wichtige Rolle. Castro Varela/ Dhawan beschreiben mit Bezug auf Gayatri Chakravorty Spivak, dass Marginalisierte nicht „nicht sprechen“ würden; vielmehr würden sie durch ein hegemoniales Nicht-Zuhören nicht gehört. Castro Varela/Dhawan plädieren in diesem Zusammenhang für die Herstellung von Räumen, in denen „die Anderen gehört werden“ (ebd.) können und für ein reflexives Zuhören. Hieraus lässt sich für die Pädagogik die Forderung aufstellen eine Aufmerksamkeit für das Nicht-Gesprochene und Nicht-Repräsentierte zu entwickeln.

Nur normalisierte Artikulationen wahrzunehmen könnte als hegemoniales Nicht-Hören bezeichnet werden, welches wir mit einem Argument von Markus Schroer (2008) verbinden wollen. Das Problem marginalisierter Gruppen beginnt für Schroer bereits mit der Frage der Wahrnehmung. Sein zentrales Argument ist, dass der sozialen Anerkennung die Wahrnehmung vorgelagert ist. Menschen(-gruppen) müssen mit ihrer (spezifischen) Lebenswirklichkeit überhaupt erst in einer Aufmerksamkeitsökonomie wahrgenommen werden. Dazu bedarf es der Wahrnehmung durch jemand. Für Schroer unterliegen marginalisierte Gruppen einem „Antennenschicksal“ (Schroer 2008, S. 258), durch welches sie in der Artikulation ihrer Interessen keinen Adressaten finden. Es interessiert sich einfach niemand für das, was sie sagen. Dieses ‚Antennenschicksal‘ ist ein Ausdruck einer hegemonialen Strategie des Nicht-Zuhörens. Normalisierung beginnt beim Zu- bzw. Nicht-Zuhören. Auch in der Pädagogik finden Normalisierungen anhand von Hören und Nicht-Zuhören statt, das sich entlang von Differenzlinien sortiert. Zum Beispiel werden Schüler_innen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sozialen Schicht und ihres kulturalisierten Hintergrunds in ihren Artikulationen unterschiedlich wahrgenommen. Festschreibungen von Jugendlichen auf bestimmte gesellschaftliche Positionen oder Schicksale stellen normalisierende pädagogische Praxen dar. Eine kritische Praxis müsste „dagegen in der Lage sein, das Nichtgedachte der dominanten Diskurse zu denken, und denen zuzuhören, die zur Zielscheibe der epistemischen Gewalt werden.“ (Castro Varela/Dhawan, 2003, S. 279)

Mit Castro Varela/Dhawan plädieren wir für die Herstellung von Räumen, in denen Marginalisierte sich artikulieren können. Mit Artikulation meinen wir einerseits das Sprechen/Reden im alltagssprachlichen Sinne. Hier sollen Jugendliche sich miteinander austauschen. Von dort aus sollen sie die Möglichkeit erhalten zu anderen zu sprechen. Im Prozess des Austauschs findet auch eine Artikulation in einem weiteren Sinne statt. Es ist ein gemeinsames bewusst Machen darüber, dass der_die Einzelne nicht spinnt, wenn er_sie über eine rassistische, soziale, geschlechtliche Verbesonderungserfahrungen z.B. im Schulkontext berichtet. Es kann auch ein Verständigungsprozess innerhalb einer Gruppe von Jugendlichen darüber sein, wie innerhalb der Gruppe normative Maßstäbe gewaltvoll durchgesetzt werden. In beiden Bereichen wird aus einer intersektionalen Perspektive die Frage nach den Gestaltungsweisen der eigenen Verhältnisse gestellt.

Uns scheint der Begriff der „epistemischen Gewalt“ eine nützliche Erweiterung von Vorstellungen der direkten (sichtbaren) und indirekten (unsichtbaren) Gewalt, wie sie von Offen/Schmidt unter Bezugnahme auf Galtung als bereits bereichernde Perspektive in der Gewaltprävention vorgenommen worden ist. Mit der epistemischen Gewalt werden die Produktionsverhältnisse, in denen Kategorisierungen hervorgebracht werden selbst, in Augenschein genommen. Grenzziehungen von Zentrum und Rändern, Normalität und Abweichung, Dazugehörenden und Nicht-Dazugehörenden, männlich und weiblich werden porös gemacht.

 

3 Widersprüche aus und in der Praxis

Widerspruch 1: Universalismus trifft auf konkrete Arbeit

Wie deutlich geworden ist, ist eine intersektionale Perspektive in der Gewaltprävention durch die Berücksichtigung mehr oder weniger vieler gesellschaftlicher Differenzkategorien in ihren Verschränkungen sehr komplex5. Mit dem Intersektionalitätsansatz mag sogar eine Sehnsucht nach einem umfassenden Erklärungsmodell verbunden sein, mit dem jegliche Komplexität erfassbar gemacht zu werden scheint. Damit würde jedoch jenes Unbehagen getilgt, das mit dem Unabgeschlossenen, welches durch das „usw.“ am Ende von Aufzählungen gekennzeichnet wurde und von Judith Butler als „Notwendigkeit“ markiert wurde (vgl. Butler, 1990: 143; 1991: 210). Butler plädierte Anfang der 1990er in Gender Trouble folgendermaßen:

„Auch die Theorien feministischer Identität, die eine Reihe von Prädikaten wie Farbe, Sexualität, Ethnie, Klasse und Gesundheit ausarbeiten, setzen stets ein verlegenes ‚usw.‘ an das Ende ihrer Liste. Durch die horizontale Aufzählung der Adjektive bemühen sich diese Positionen, ein situiertes Subjekt zu umfassen; doch gelingt es ihnen niemals, vollständig zu sein. Dieses Scheitern ist aber äußerst lehrreich, denn es stellt sich die Frage, welcher politischer Impetus aus dem ‚usw.‘ abzuleiten ist, das so oft am Ende dieser Zeilen auftaucht. Tatsächlich ist es ebenso ein Zeichen der Erschöpfung wie ein Zeichen für den unbegrenzbaren Bezeichnungsprozess selbst.“ (Butler 1991: 210).

Wir plädieren für ein Aufrechterhalten der Unabgeschlossenheit der Kategorisierungen. Sie fordert Pädagog_innen geradezu immer wieder von neuem dazu auf genau hinzuhören, wie sich Ein- und Ausschlüsse konstituieren. Unter Umständen kennen wir jene Kategorisierungen noch gar nicht, anhand derer Diskriminierungslinien verlaufen. Insofern handelt es sich um eine immer wieder neu zu machende Analyse und Problematisierung hegemonialer Diskurse. Die Beziehungen von Zentrum und Rändern sind dabei keine einfachen Täter_innen und Opfer - Verhältnisse. Vielmehr stellen sie sich als komplizierte, differenzierte und changierende Verhältnisse dar. Innerhalb dieser Beziehungen finden Kämpfe statt, die „neue Subjekte“ hervorbringen (vgl. Castro Varela/ Dhawan S. 273). Die neuen Subjekte stehen wiederum in einem erneuten Verhältnis von Zentrum und Rändern. Das bedeutet, dass mit einer intersektionalen Perspektive emanzipative Veränderungen immer wieder einer kritischen Reflexion in Bezug auf ihre eigenen Marginalisierungen unterzogen werden. Eine Schlussfolgerung ist es, den jeweils spezifischen Kontext möglichst ausdifferenziert bezüglich der Differenzkonstruktionen zu beschreiben und entsprechende pädagogische Angebote zu machen. Allerdings werden Pädagog_innen auch in bester Absicht möglichst kenntnisreich bezüglich ihrer Zielgruppe zu sein nicht immer richtig (re)agieren können. Eine gewisse Fehlerfreundlichkeit ist hier nötig und besser geeignet Spielräume zu eröffnen, als der illusionären Annahme nachzuhängen alle möglicherweise relevanten Informationen zu haben. Mit Teilnehmer_innen behutsam (!) darüber ins Gespräch zu kommen, was ihren Alltag strukturiert, Verschiebungen zu erproben und gegebenenfalls Dinge zu revidieren kann ein strategisches Vorgehen kennzeichnen. Respektvolles Fragen und Zuhören ist zentral und ermöglicht es, wichtiges Wissen zu erschließen. Die Pädagog_innen müssen sich dabei auf Überraschungen einstellen und einlassen; das „usw.“ ist ein ständiger Begleiter.

Widerspruch 2: Direkte Gewalt – indirekte Gewalt – epistemische Gewalt

Die Mehrheit der Gewaltpräventionsansätze ist auf individuelle, körperliche Gewalt bezogen. Eine intersektional erweiterte Gewaltprävention verfolgt hingegen den Zusammenhang von direkter, individueller und struktureller Gewalt. Aus einer intersektionalen Perspektive werden gesellschaftliche Differenzlinien (und damit verbundene Identitäten) als Effekte angesehen, die auf durchaus gewaltsame Weise hergestellt sein können. Zugleich können damit verbundene Zugehörigkeiten auch als „strategische Essentialismen“ im Sinne von für das Individuum nützlicher Vereindeutigungen anerkannt werden, mit denen gearbeitet werden kann. Beispielsweise können Selbstethnisierungen als Reaktionen auf rassistische Alltagserfahrungen erkannt und als soziale oder politische Positionierungen verstanden werden. Hier verbindet sich Individuelles und Strukturelles.

Gewalttätige Männlichkeitsinszenierungen von männlichen Jugendlichen können je nach Kontext auch als ein Versuch angesehen werden, andere gesellschaftliche Ausgrenzungserfahrungen, zum Beispiel aufgrund sozialer und/oder rassistischer Positionierungen, zu kompensieren. Gewaltbejahende Männlichkeitsnormen sind unter Umständen so etwas wie die letzte Ressource für männliche Jugendliche im Kampf darum, ein mit Männlichkeit verbundenes Versprechen nach Überlegenheit einzulösen. (Vgl. Bereswill 2007) Mädchen und Frauen – obwohl ihre Ausgrenzungserfahrungen denen vieler Jungen und Männer in Nichts nachstehen, sie aufgrund struktureller geschlechtlicher Benachteiligung oft noch übertreffen – steht dieser Weg der Kompensation aufgrund asymmetrischer Geschlechtszuschreibungen in der Regel nicht zu (Gilligan 2001: 56).

Eine intersektionale Gewaltprävention zieht anhand des Sprechens über die Lebensrealitäten der Teilnehmenden (und die darin gemachten Opfer- und Täter_innen- oder Zeuginn_en-Erfahrungen) immer Verbindungslinien zwischen der individuellen und der strukturellen Ebene. Ein Verstehen der Gewalt heißt nicht Verständnis für sie aufzubringen. Doch aus dem Verstehen eines komplexen Zusammenspiels von sozialen, ethnisierten und vergeschlechtlichten Begründungszusammenhängen ergeben sich mitunter fruchtbare, neue Bewertungen und Handlungsoptionen.

Widerspruch 3: Politische Klarheiten versus Multiperspektivität?

Eine intersektionale Gewaltprävention tritt mit einer expliziten Herrschaftskritik und dem Ziel des Abbaus von Dominanz- und Herrschaftsverhältnissen an. Jedoch macht ein ausdifferenziertes Verständnis von Herrschaftsverhältnissen, in denen sich verschiedene Dominanzachsen in vielfältiger Weise überkreuzen und damit abschwächen, verstärken, verschleiern oder neu zusammensetzen, eine politische Positionierung nicht einfach. Durch Differenzierungen ergeben sich neue Sichtweisen, die auch dazu einladen können, Herrschaftsverhältnisse zu relativieren. So wird beispielsweise die Erfahrung struktureller Gewalt gegen Frauen und Mädchen zuweilen mit dem Argument gekontert, dass ja auch Männer Gewalt erleben. In dieser Gleichsetzung geht verschiedenes verloren: erstens sind Jungen und Männer zum großen Teil Opfer von Gewalt durch andere Männer; zweitens hat die Gewalt unter Männern – zumindest die reziproke (Meuser 2005) – meistens eine andere Funktion als die gegen Mädchen, Frauen und als nicht-männlich identifizierte Personen, nämlich die der gegenseitigen Anerkennung anstatt der Abwertung; drittens übersteigt der Anteil von Mädchen und Frauen als Opfer sexueller Gewalt den der Jungen und Männer, vor allem mit zunehmendem Alter (vgl. Romih 2009; DJI 2011); viertens wird Gewalt in einem gewissen Grad als normales Ergebnis eines männlichen Sozialisationsprozess angesehen (‚geglückte Sozialsation‘), hingegen weist Gewalt von Mädchen auf deren missglückte Sozialisation hin. Erst die genauere Analyse, in der z, B. Binnendifferenzen einer vermeintlich homogenen Gruppe oder gesellschaftliche Rahmenbedingungen einbezogen werden, lässt es also zu, eine Struktur zu benennen anstatt einzelne Zahlenwerte zu vergleichen. Historisch lässt sich nachzeichnen, wie der Kampf vor allem von Frauen gegen häusliche und andere Gewaltformen, einer strategischen Engführung und den Fokus auf das Thema Gewalt gegen Frauen bedurfte, um dem Thema überhaupt Öffentlichkeit zu verschaffen und auf diesem Wege zu der heute erreichten Ausdifferenzierung der geschlechterbezogenen Gewalt zu gelangen.6 Unterschiede zwischen Frauen gehen darin nahezu zwangsläufig verloren.

Widerspruch 4: Durch den Bezug auf soziale Kategorien werden diese in der konkreten Arbeit reproduziert

Der vierte Widerspruch benennt ein zentrales Problem der Praxis. In der kritischen Reflexion gesellschaftlich strukturierter Beziehungen der Dominanz und Unterordnung und der Arbeit an deren Veränderung/Aufhebung, kommen wir kaum darum herum die sozialen Positionierungen der Beteiligten und die damit zusammenhängenden Kategorisierungen zu benennen und damit zu wiederholen. Die Rede von der sozialen Kategorie Geschlecht hat sich dabei etabliert, um die Ungleichheitsverhältnisse zwischen den Geschlechtern im System der Zweigeschlechtlichkeit zu besprechen. Mit der Rede von der sozialen Kategorie der Ethnizität sollen Fragen der Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit in einem System der „natio-ethno-kulturellen Ordnung“ (Mecheril 2004: 22) sowie damit verbundenen, zugestandenen oder abgesprochenen Rechten benannt werden. In der Praxis taucht durch die Bezugnahme auf die Kategorisierungen nach Geschlecht und Ethnizität das Problem der Dramatisierung auf, in der unter Umständen nicht nur etwas wiederholt und damit zunächst stabilisiert wird, sondern möglicherweise überhaupt erst hervorgebracht wird. So werden Homogenisierungen und Ausschlüsse, die mit einem System der Zweigeschlechtlichkeit verbunden sind, dadurch wiederholt, dass in Gruppen immer wieder nach Jungen und Mädchen aufgeteilt werden. Trans* und andere Zugehörigkeiten tauchen nicht auf. Die mittlerweile vielstimmige Rede von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und – etwas seltener – mehrheitsdeutschen Jugendlichen behandelt die Frage der Zugehörigkeit immer noch als eine der Abstammung, die auf etwas Eindeutiges zurückzuführen sei. Auflösungen solcher binärer Gegenüberstellungen, die Voraussetzung für deren hierarchische Anordnungen – oder mit anderen Worten: epistemische Gewalt – darstellen, werden kaum intendiert. Ebenso wie andere Ansätze auch, die sich auf Identitäten, soziale Kategorisierungen oder gesellschaftliche Positionierungen beziehen, steht auch eine intersektionale Perspektive vor diesem Problem.

 

4 Methodisch-didaktische Vorschläge einer intersektionalen Gewaltprävention

Eine intersektionale Gewaltprävention entwickelt Grundlagen zur Handlungsfähigkeit bezüglich der Dilemmata, wie sie zwischen der Auflösung von Diskriminierungskategorien und dem Bezug auf (Mehrfach)Zugehörigkeiten entstehen. Es sind Räume des Austausches und des Übens nötig, in denen mit einer Kultur der Fehlerfreundlichkeit darüber nachgedacht werden kann, welche Funktionen Vereinfachungen im pädagogischen Handeln für uns haben und wer davon auf welche Weise profitiert. Wie können wir eine differenzierende und größere Gerechtigkeit herstellende Praxis entwickeln? Diese Räume nennen wir „Orte der Autokritik“.7 In Anlehnung an Gramsci beinhalten sie die Absicht auf Veränderungen ebenso wie das Wissen um die eigenen Beteiligungen an Dominanzstrukturen. Orte der Autokritik sind kollektive Orte, an denen die Beteiligten an Grundlagen arbeiten bestehende Strukturen zu kritisieren und verändernd einzugreifen. Welche Voraussetzungen sind nötig, um den komplexen Anforderungen in der pädagogischen Arbeit gerecht werden? Wie können diese Voraussetzungen durchgesetzt werden? Auf diese Weise sind es zunächst die Arbeitsbedingungen der Pädagog_innen selbst, die zum Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen werden. Voraussetzungen um die gerungen werden sollte können kollegiale Beratungen sein oder der Raum (Zeit, Raum, Ressourcen) zur szenischen Nachbearbeitung von festgefahrenen Situationen aus dem pädagogischen Alltag, praxisabgeleitete Weiterentwicklungen von Arbeitskonzepten und Diskussionen sowie Durchführungen politischer Interventionen. Der Begriff der Autokritik ist also auf eine kollektive, auf politische Veränderung Entwicklung angelegt, die sich den finanziellen Einsparungen und konzeptionellen Reduktionen gegenüber stellt.

Da soziale Ungleichheit und damit verbundene Ein- und Ausschlüsse allzu leicht spontan und in der intuitiven Handlung der Beteiligten reproduziert werden, legen wir einen inhaltlichen Schwerpunkt auf diese Dynamiken der Reproduktion der Dominanzverhältnisse, Diskriminierungen und Privilegierungen. Mit einer intersektionalen Perspektive wird dem ersten Impuls mit Skepsis gegenüber getreten. Jene Kreisläufe sollen unterbrochen werden, die auf eine permanente Reproduktion von Verhältnissen hinauslaufen, die von Beziehungen der Dominanz und Unterordnung auch zwischen Pädagog_innen und Jugendlichen strukturiert sind. Mit dem kontra-intuitiven Handeln sind die Pädagog_innen aufgefordert, vom Impuls des Selbstverständlichen zunächst zurückzutreten, um den Raum für konträr zum Selbstverständlichen verlaufenden Wahrnehmungen, Interpretationen und Handlungsstrategien zu öffnen. So antwortet ein_e mehrheitsdeutsche Pädagog_in zum Beispiel auf eine selbst-ethnisierende Aussage eines Jungen, dass in seiner Kultur Männer im Haushalt nichts arbeiten würden, nicht mit der ebensfalls selbst-ethnisierenden Antwort: „Bei uns aber sehr wohl und deshalb ...“. Vielmehr gibt sie_er zurück, dass das in Deutschland oftmals auch so sei, aber hier in der Einrichtung andere Regeln gelten würden.

Eine Voraussetzung für kontra-intuitives Handeln ist die Fähigkeit des kontra-punktischen Lesens.8 Bei ihr geht es um das Verstehen sozialer Wirklichkeiten von Jugendlichen (und uns selbst). So können Selbst-Ethnisierungen Zugehörgkeiten signalisieren. Sie können aber auch ein Zeichen dafür sein, dass Jugendliche sich bspw. als nicht-zugehörig fühlen. Zu diesem Gefühl tragen nicht selten pädagogische Angebote selbst bei.

Drei Unterstützungsfragen sollen kontra-punktische Lesen auf die eigene Arbeit unterstützen:

Finden Prozesse des „othering“ in den eigenen Arbeitsansätzen statt? (Werden beispielsweise ganze Gruppen von Personen aufgrund ihres vermeintlichen Hintergrundes auf ein Verhalten festgelegt oder als homogene wahrgenommen und adressiert?)

Finden Schuldzuweisungen in der Auseinandersetzung um die Weiterentwicklung herrschaftskritischer Arbeit statt? (Stellt sich z. B. eine Gruppe, die von Diskriminierung betroffen ist, vermeintlich immer besonders blöd an, handelt unstrategisch oder hat die schlechte Behandlung auch ein bisschen verdient?)

Welche Verhältnisse werden ausgeblendet und welchen Zwecken folgt dies? (Z.B. wenn in der politischen Öffentlichkeit im Zusammenhang mit Gewalt häufig die Verbindung von Männlichkeit und Migration hergestellt wird, nicht jedoch mit Schichtzugehörigkeit?)

 

Anmerkungen

  1. Alle Projekte sind auf der Intersektionalen Internetplattform beschrieben. Bei den Projekten handelt es sich um die EU Projekte PeerThink (Daphne-Programm) und IGIV - Implementation Guideline for an Intersectional Peer Violence Preventive Work (Grundtvig-Programm) sowie das bundesdeutsche Projekt Intersektionale Gewaltprävention (Aktion Mensch). Darüber hinaus fließen Erfahrungen aus Fortbildungen mit Lehrer_innen und Sozialpädagog_innen und mit gesellschaftlich marginalisierten Jugendlichen mit ein.
  2. Das heißt nicht, dass es nicht auch Gewaltformen gibt, die nicht in erster Linie auf diese gesellschaftlichen Kategorisierungen und damit verbundenen Positionierungen zurückgehen.
  3. Im Rahmen des IGIV Projekts haben wurden anhand von Expert_innen-Interviews solche Differenzierungen herausgearbeitet. In diesem Zusammenhang sei vor allem auf das Handbuch und auf die deutschsprachigen Länderberichte verwiesen. (www.intersect-violence.eu)
  4. Diese Überlegungen basieren auf einem Interview mit Katharina Debus im Rahmen des EU-Projekts IGIV – Implementation Guideline for an Intersectional Peer Violence Preventive Work und können im bundesdeutschen Länderbericht nachgelesen werden (http://www.intersect-violence.eu/index.php?option=com_content&view=article&id=21&Itemid=52&lang=de).
  5. Vgl. beispielhaft 15 Kategorien bei Lutz/Leiprecht (2005: 220.
  6. Dass dies allerdings keine abgesicherten Hilfestrukturen zur Folge hat und das Thema weiterhin gesellschaftlich umkämpft ist, zeigen sowohl die Kürzungen im Bereich der Frauenhäuser und Beratungsstellen in den letzten Jahren als auch das Fehlen einer repräsentativen Befragung zum Thema „Gewalt gegen Männer“.
  7. An dieser Stelle möchten wir María do Mar Castro Varela für diesen und weitere Begriffe danken, die in unseren Diskussionen um die Entwicklung einer ‚intersektionalen Gewaltprävention‘ eine wichtige Rolle gespielt haben.
  8. Mit dem Begriff des kontra-punktischen Lesens beziehen sich María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan auf Edward Said. (Vgl. Castro Varela/Dhawan, 2005, S. 52)

 

Zu den Autor_innen

Mart Busche (Dipl. Pol.): Wiss. Mitarbeiter_in an der Universität Kassel (Soziologie der Diversität), Leitung diverser europäischer Projekte bei Dissens e.V. (Berlin) zum Thema Intersektionalität, Seminarleitung in der ehemaligen HVHS »Alte Molkerei Frille« in der Mädchen_ und Jungen_arbeit sowie Erwachsenenbildung. mart.busche[at]uni-kassel.de

Olaf Stuve (Dipl. Soziologe): Seit. 2007 wiss. Mitarbeiter bei Dissens e.V. mit den Schwerpunktthemen: Geschlecht + Bildung, Geschlecht + Gewalt(-prävention) sowie Intersektionalitätsforschung. Letzte Projekte: IGIV - Implementation Guideline for an Intersectional Peer Violence Preventiv Work (www.intersect-violence.de), JuS - Jungenarbeit und Schule (www.jungenarbeit-und-schule.de)sowie die wissenschaftliche Begleitung des Bundesmodellprojekts "Neue Wege für Jungs"; darüber hinaus langjährige Tätigkeit in der Erwachsenen- und Jugendbildung unter anderem mit dem Schwerpunkt der geschlechterreflektierten Pädagogik mit Jungen.

 

Literatur

Bereswill, Mechthild. (2007): Undurchsichtige Verhältnisse: Marginalisierung und Geschlecht im Kontext der Männlichkeitsforschung. In: Klinger, Cornelia/Knapp, Gudrun Axeli/Sauer, Birgit (2007): Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität. Frankfurt: Campus Verlag. 84-99.

Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Castro Varela, María do Mar/Dhawan, Nikita (2003): Postkolonialer Feminismus und die Kunst der Selbstkritik. In: Steyerl, Hito/ Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (Hrsg.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik. Münster: Unrast-Verlag. S. 270-290

Castro Varela, María do Mar/Dhawan, Nikita (2005): Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung Bielefeld: transcript Verlag.

Connell, Raewyn (1999): Der gemachte Mann. Opladen: Leske und Budrich.

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