Material: Praxisprojekt

Intersektionale Methoden in der Antidiskriminierungsarbeit

von Ralf Mahlich

 

Intersektionale Theorien zur Erklärung verknüpfter Ungleichheits-und Unterdrückungsverhältnisse haben eine lange Tradition. Sie gingen unter anderem von der Kritik Schwarzer Feministinnen an der weiß dominierten feministischen Bewegung in den USA aus. Diese Kritik speiste sich aus der besonderen Situation Schwarzer Frauen, gleichermaßen als Frau und Person of Color von Diskriminierung betroffen zu sein (vgl. u.a.: hooks, 1981 u. 1984, Davis, 1982 u. 1983, Floya / Yuval-Davis, 1983). Eine Diskussion um verschiedene Ebenen von Diskriminierung und deren Verknüpfungen findet sich seit den 1990er Jahren ebenfalls im deutschsprachigen Raum (vgl.: Lutz / Herrera Vivar / Supik, 2010, S. 10). Im Kontext von Auseinandersetzungen um Geschlecht, ´Rasse` und Klasse wurde anerkannt, dass eindimensionale Analysen von Herrschaft und Diskriminierung nicht ausreichen, um die komplexen Verknüpfungen in Lebensrealitäten von Subjekte zu erfassen (vgl.: Degele & Winker, 2009, S. 12). Dabei setzte sich zum einen die These durch, das „[...] z.B. nicht schlicht von ´Männern` und ´Frauen` auszugehen [ist], sondern auch Differenzen und Machtverhältnisse innerhalb dieser Genusgruppe zu erfassen [sind]“ (Kerner, 2010, S. 312) Zum anderen geht „Intersektionalität mit der These einher, dass die Dynamiken von Geschlechterverhältnissen nur im Kontext der weiteren Differenz-und Hierarchieverhältnisse, mit denen sie verwoben sind, angemessen erfasst werden können“ (Ebd.).

In der politischen Bildung zum Thema Diskriminierung, die mir aus meiner eigenen Arbeitspraxis bekannt ist, lässt sich ein großes Interesse an intersektionaler Theorie verzeichnen. Dieses spiegelt sich in Publikationen und Fortbildungs-sowie Tagungsprogrammen wider. Die Reaktionen der professionellen Praktiker_innen reichen von jetzt wird mal das diskutiert, was wir seit Jahren machen bis hin zu niemand weiß doch genau, was das eigentlich ist oder ich versteh das theoretisch, habe aber keine Ahnung wie ich das vermitteln soll.

Mit meiner Masterarbeit möchte ich den benannten Positionen (und einigen weiteren) eine Anregung zur Weiterentwicklung zu geben. Ziel ist es dabei, gemeinsam mit vielen anderen eine Antidiskriminierungspädagogik zu entwickeln, die einer intersektionalen Überprüfung stand hält, weil sie die real bestehende Komplexität von Diskriminierungen und Machtverhältnissen angemessen abbildet. Dazu möchte ich zum einen zusammentragen und rekonstruieren, wie intersektionale Ansätze in der pädagogischen Praxis realisiert oder entwickelt werden. Zum anderen ist es mein Interesse, die bestehenden Vorschläge zur Vermittelbarkeit intersektionaler Perspektiven kritisch zu überprüfen, zu diskutieren und Konflikte zwischen theoretisch unterschiedlich gebundenen Praxen produktiv aufzuarbeiten. Unter dem Begriff ´Antidiskriminierungspädagogik` fasse ich pädagogische Konzeptionen und ihre Akteur_innen (Projekte, Vereine und Institutionen) zusammen, deren Ziel es ist, emanzipatorische und partizipatorische Prozesse anzuregen (vgl. Hufer, 2011, S. 16), indem sie die Kritik-und Handlungsfähigkeit Einzelner fördert (vgl. u.a.: Dettendorfer, 2009, S. 35; Garske, 2009, S. 157). Getragen von diversen sozialen Bewegungen wurde diese Form der ´Mündigkeit` in den 1960er Jahren zum Bildungsziel (vgl.: Hufer, 2011, S. 14.), welches trotz aller Unterschiedlichkeiten in den Ansätzen häufig mit Theodor Adornos Diktum bezüglicher einer „Erziehung nach Auschwitz“ begründet wird: „Jede Debatte über Erziehungsideale ist nichtig und gleichgültig diesem gegenüber, daß Auschwitz sich nicht wiederhole“ (Adorno, 1970, S.88).

Der Schwerpunkt dieser Arbeit ist die Analyse von pädagogischer Praxis, in der im Sinne einer horizontalen Perspektive versucht wird, verschiedene Diskriminierungskategorien und strukturelle Dominanzverhältnisse gleichzeitig zu betrachten, diese nebeneinander anzuordnen und differente Unterdrückungs-und Ausgrenzungskriterien aufzugreifen (vgl.: Garske, 2009, S. 157). Deshalb habe ich aus der Vielzahl methodischer Ansätze aus dem Feld der Antidiskriminierungspädagogik solche Bildungskonzeptionen und -praxen herausgesucht, die sich explizit auf intersektionale Theorie beziehen. Die im Folgenden untersuchten Methoden politischer Bildung entstammen den Ansätzen: - Social Justice Training - Genderreflektierende Bildungsarbeit - Intersektionale Gewaltprävention Der Trainingsansatz Diversity and Social Justice Education wurde in den USA an der University Massachusetts in den 1990er Jahren ausgearbeitet (vgl. u.a.: Adams / Bell / Griffith, 1997) und im deutschsprachigen Raum seit 2000 weiterentwickelt (vgl. u.a.: Czollek / Weinbach, 2002; Weinbach, 2006; Czollek / Perko / Weinbach, 2011, 2012). Intersektionalität bedeutet im Kontext des Social Justice Trainings „verschiedene Diskriminierungsformen zu analysieren, die Berührungspunkte, Ähnlichkeiten und Stabilisierungsfaktoren von Diskriminierung zu benennen und sie im Einzelnen zu untersuchen“ (Czollek / Weinbach / Perko, 2010, S. 18). Diesen Ansatz habe ich ausgewählt, da er seit seiner Entstehung vor mehr als 20 Jahren differente Diskriminierungsformen thematisiert und sich so von den beiden anderen Ansätzen -der zunächst eindimensional angelegten genderreflektierenden Mädchen-und Jungenarbeit und den gewaltpräventiven Ansätzen unterscheidet.

In der genderreflektierenden Bildungsarbeit finden intersektionale Theorien erst seit kurzem Beachtung (vgl. u.a.: Busche / Pech, 2009, Garske, 2009, Busche / Pohlkamp, 2009). Intersektionalität wurde zunächst „ […] als Haltung oder eine Perspektive denn als eine Methode“ (Busche / Pech, 2009, S. 13) verstanden. Aktuell findet sich sowohl in der genderspezifischen Arbeit mit Mädchen als auch in der entsprechenden Arbeit mit Jungen eine vitale Diskussion um intersektionale Methoden, die unter anderen von den Vereinen Arbeit und Leben e.V., GLADT e.V., Dissens e.V. und KomBi e.V. geführt und seit Mai 2012 in einer virtuellen Methodenkonferenz gebündelt wird. Hier finden sich ebenfalls Methoden aus dem Bereich der Gewaltprävention, in dem intersektionale Perspektiven diskutiert werden (vgl. u.a.: Busche / Stuve, 2012, Offen, 2010, Offen / Schmidt, 2009). Diese zielen darauf ab, den komplexen sozialen Wirklichkeiten von Jugendlichen in der pädagogischen Arbeit gerecht zu werden. Aus diesem Grund wird die Entwicklung eines intersektionalen Ansatzes der Gewaltprävention auch für die Weiterentwicklung der Sozial-und Bildungsarbeit für dringend notwendig gehalten (vgl.: Handbuch Intersektionale Gewaltprävention, 2011, S. 7). In diesem Ansatz finden sich sehr aktuelle theoretische Ausarbeitungen und innovative Methodenvorschläge.

In meiner Arbeit Intersektionale Methoden in der Antidiskriminierungspädagogik werde ich versuchen, den Theorie-Praxis-Transfer in den oben beschriebenen drei Bildungskonzeptionen zu rekonstruieren. Ich möchte aufzeigen, welche Theorien in der Praxis bezüglich der Fragen von pädagogischer Vermittelbarkeit angenommen wurden. Dazu möchte ich untersuchen, wie die theoretischen Bezüge methodisch gefasst und umgesetzt werden und welche wissenschaftlichen Kontroversen sich in einer theoriegebundenen Entwicklung und Analyse von pädagogischer Praxis widerspiegeln. Dazu werden im ersten Kapitel grundlegende „Diskursstränge“ (Jäger / Zimmermann, 2010, S. 45) um Intersektionalität nachgezeichnet und politische Bewegungstraditionslinien intersektionaler Theorien aufgezeigt, um deren gesellschaftskritisches, politisches Potential virulent zu halten (vgl.: Dietze 2006, S. 224 ff; Lorey, 2011, S. 101 ff; Gutiérrez Rodríguez, 2011, S. 77 ff.) und im Folgenden überprüfen zu können, inwieweit sich dieses Potential in den Texten und Methoden -verstanden als „Diskursfragmente“ (Jäger / Zimmermann, 2010, S. 39) -der pädagogischen Praxis wiederfinden lassen. Im zweiten bis vierten Kapitel werden dementsprechend die theoretischen intersektionalen Grundlagen der Methoden aus dem Social Justice Training, der genderreflektierenden Bildungsarbeit und der Gewaltprävention herausgearbeitet. Als ´good practice`-Beispiele stellen die Methoden einen grundsätzlich geglückten Versuch dar, Ungleichheits-bzw. Dominanzverhältnisse zu thematisieren. Dieser kann und muss dennoch kritisch im Hinblick auf Potentiale und Widersprüche analysiert werden. In allen drei Kapiteln werden die intersektionalen Bezugspunkte auf der Textebene und deren Transfer in die Methoden in den Blick genommen. Das zweite Kapitel enthält eine umfangreichere Darstellung des Social Justice Trainings, mit der ich versuche, dem komplexen, aufeinander aufbauenden Praxisansatz gerecht zu werden. Zur Analyse der pädagogischen Praxis werden einige Methodenvorschläge deskriptiv vorgestellt sowie zwei Methoden exemplarisch untersucht. Im dritten und vierten Kapitel werden aus dem Bereich der genderreflektierenden Bildungsarbeit sowie der Gewaltprävention Methoden ausgewählt, die sich an unterschiedlichen Theorien orientieren. So lässt sich herausarbeiten, wo Stärken und Schwächen der Ansätze liegen, je nachdem, auf welche Theorie(n) sie sich beziehen bzw. wie sie diese Theorie(n) umsetzen.

Im abschließenden Fazit werden die drei Ansätze, ihre theoretischen Bezüge und praktischen Vorschläge in Zusammenhang gesetzt und ihre Potentiale abschließend besprochen.

Kontaktadresse: ralfmahlich(at)web.de

 

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