1. Methodenkonferenz: Das blaue Krokodil und die Lücke im System

Die erste Methodenkonferenz wird sich mit der Bearbeitung des Films „Zwei blaue Krokodile und die Lücke im System“ beschäftigen. Mit Kimberlé Crenshaws Bild einer Straßenkreuzung greift der Film eine frühe Metapher der Konzeptionalisierung von Intersektionalität auf, mit der verdeutlicht werden soll, dass unterschiedliche Verletzlichkeiten verschieden bearbeitet werden.

Vom 30.4.2012 bis zum 13.5.2012 sind ausgewählte sowie interessierte Methodenpat_innen aufgefordert, diese Methode zu erproben, zu reflektieren und gemeinsam zu diskutieren. Über die Kommentarfunktion auf der angegebenen Seite können Beiträge gesendet werden, die von den Moderator_innen in die laufende Diskussion eingeflochten werden. Die dokumentierte Diskussion ist über die Konferenz hinaus öffentlich zugänglich und soll zur Verbesserung der Methode beitragen. Weitere Konferenzen werden folgen.

Wenn Sie gerne Methodenpat_in werden wollen oder eine Methode zur Diskussion stellen wollen, schreiben Sie uns:

olaf.stuve[at]dissens.de,  mart.busche[at]dissens.de

 


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Konferenzorganisation: Dissens – Institut für Bildung und Forschung e. V.

Mart Busche (Dipl. Pol.): Wiss. Mitarbeiter_in an der Universität Kassel (Soziologie der Diversität), Leitung diverser europäischer Projekte bei Dissens – Institut für Bildung und Forschung e. V. (Berlin) zum Thema Intersektionalität, Seminarleitung in der ehemaligen HVHS »Alte Molkerei Frille« in der Mädchen_ und Jungen_arbeit sowie Erwachsenenbildung. mart.busche[at]uni-kassel.de

Olaf Stuve (Dipl. Soziologe): Seit. 2007 wiss. Mitarbeiter bei Dissens – Institut für Bildung und Forschung e. V. mit den Schwerpunktthemen: Geschlecht + Bildung, Geschlecht + Gewalt(-prävention) sowie Intersektionalitätsforschung. Letzte Projekte: IGIV - Implementation Guideline for an Intersectional Peer Violence Preventiv Work (www.intersect-violence.de), JuS - Jungenarbeit und Schule (www.jungenarbeit-und-schule.de) sowie die wissenschaftliche Begleitung des Bundesmodellprojekts "Neue Wege für Jungs"; darüber hinaus langjährige Tätigkeit in der Erwachsenen- und Jugendbildung unter anderem mit dem Schwerpunkt der geschlechterreflektierten Pädagogik mit Jungen.

 

Methodenpat_innen:

Beate Flechtker: freiberufliche politische Bildungsreferentin mit den Schwerpunkten intersektionale Macht- und Rassismuskritik, DaF-Dozentin.

Caro Köhler (M.A. Soziologie): seit November 2009 bei GLADT e.V. in verschiedenen Projekten tätig, u.a. »HEJ. Handreichungen für emanzipatorische Jungenarbeit« und »Miteinander - Füreinander. Diskriminierungsfreie Szenen für alle!«; Abschlussarbeit 2011 zu »Queering Academia. Ansatzpunkte einer postkolonial-feministisch motivierten Wissensproduktion« caro.koehler[at]GLADT.de

Philipp Leeb (Dipl. Päd.): Obmann Poika - Verein für gendersensible Bubenarbeit, Mitarbeiter der Abteilung für Gender des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK), Kulturarbeiter und Journalist. philipp.leeb[at]chello.at

Ines Pohlkamp (Dipl. Soz.arb.wiss./Master Int. Kriminologie): Gender Institut Bremen, Referentin für intersektionale Pädagogik & Bildung mit den Schwerpunkten: Mädchenarbeit, Gender, Queer-Feminismus & Social Justice. 2003-2007 Projektkoordinatorin "respect- antirassistische mädchen- und jungenarbeit" in Bremen. 2007-2009 Leitung der Mädchenarbeit in der HVHS Alte Molkerei Frille in NRW. Aktuell Forschung zu trans*inter*feindlicher Diskriminierung & Gewalt. Kontakt: pohlkamp[at]uni-bremen.de

 


 

 

 

Kommentare

FR

Zur weiteren Auseinandersetzung siehe auch:
Lummerding, Susanne: Two Blue Crocodiles […]. Theorie_Praxis – eine Frage der Verkehrsregelung? in: Fruebis, Hildegard/Futscher, Edith (Hg.): FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und Visuelle Kultur, Nr. 55,20-36,[letzter Zugriff: 17.7.2015, Adresse: http://www.fkw-journal.de]

Olaf Stuve und Mart Busche

Liebe Teilnehmende an der Methodenkonferenz,

Wir wollen in der ersten Methodenkonferenz gerne einen Film mit einem damit verbundenen Bearbeitungsvorschlag diskutieren. Der Film „Zwei blaue Krokodile und die Lücke im System“ ist im Rahmen des EU Projekts Implementation Guidelines for an Intersektional Peer Violence Preventive Work – IGIV entstanden. Die Intention, die mit der Produktion dieses Video-Clips verbunden gewesen ist, war es einen leicht verständlichen Ausgangspunkt für eine ‚Einführung‘ in das Intersektionalitätskonzept zu machen. Mit Kimberlé Crenshaws Bild einer Straßenkreuzung greift der Film eine frühe Metapher der Konzeptionalisierung von Intersektionalität auf, mit der verdeutlicht werden soll, dass unterschiedliche Verletzlichkeiten verschieden bearbeitet werden.

Uns interessieren zunächst die Eindrücke zu dem Film. Was zeigt er eurer Sichtweise nach? Ist er als Ausgangspunkt zur Einführung in die Diskussionen rund um Intersektionalität geeignet? Wenn er es tut, wo kommt er an Grenzen?
Wir würden uns freuen, wenn der Film zu Ideen anregt, mit ihm zu arbeiten. Wenn ihr die Möglichkeit habt ihn auszuprobieren, dann würden wir uns über eurer Erfahrungsberichte freuen. Ebenso interessieren uns konzeptionelle Arbeitsvorschläge.

Als weiteren Diskussionspunkt sehen wir das von uns entwickelte Methodenblatt. Hier gilt wieder: wenn ihr die Möglichkeit zur Erprobung habt freuen wir uns auf Reaktionen. Ebenso sind wir auf Kritiken und Weiterentwicklungen gespannt.

Diskussionsbeiträge mit völlig anderen Ansatzpunkten als den hier von uns vorgeschlagenen sind selbstverständlich ebenso erwünscht. Außerdem sind die drei Vorschläge nicht als nacheinander gedacht, sondern als gleichzeitig. Ebenso wenig müssen alle Aspekte bearbeitet werden.

Nach einer Woche wollen wir von unserer Seite ein Zwischenresümee der Diskussion aus unserer Sicht einbringen und hoffen, dass die Diskussion dann noch eine weitere Runde macht.

Herzliche Grüße, Olaf und Mart

Philipp Leeb

als Antwort auf Olaf Stuve und Mart Busche

Schönen Abend!

Ich fang dann mal an.

Der sehr liebevoll gestaltete Clip hat mich beim ersten Ansehen verwirrt. Die erste Ambulanz ist ja für Reptilien. Erst später habe ich gecheckt: für grüne Reptilien! Dann habe ich erst realisiert, dass die Tiere ja unterschiedliche Farben haben, die nicht unbedingt in der Natur vorkommen.
Blaue Krokodile? Hm. Die ersten Tiere, die mitgenommen werden, sind ja nur bedingt Reptilien, denn ein grünes Schwein ist ja weder ein Reptil noch in so einer Farbe vorhanden.

Mit den blauen Säugetieren kommt eben eine neue Kategorie. Interessant ist da diese Zuordnung: blau, aber Säugetier, nicht Reptil.
Jetzt wird es mathematisch.
Grün = a
Blau = b
Rot = c
Reptile = A
Säugetier = B
Also: aA, bB, cA aber nicht bA
Das sind Situationen, die ich schon in Spitälern erlebt habe. Am schlimmsten finde ich so eine Selektion in der Schule, wo Kinder mit Migrationserfahrung als von vornherein schwierig kategorisiert werden, weil sie vermeintlich Schwierigkeiten im sprachlichen Bereich haben werden und recht früh in die Sonderschule abgeschoben werden. Ohne Rücksicht auf mögliche andere "kulturelle" Erfahrungen aus einem ausländischen Schulsystem.

Selbstorganisierung ist in einer Unfallsituation oft schwierig. Eigentlich gibt es die Verpflichtung für Erste Hilfe und Erstversorgung. In Wien kommt die Rettung und hilft, egal ob die Person versichert ist oder nicht. Erst nachher werden die Kosten verrechnet. Da wird die 2.Möglichkeit im Video greifbar, also verbesserte Hilfeleistungen. Das gibt es natürlich nicht in jedem Land.
Dass alle sich kümmern, ist in so einer (Unfall)Situation schwierig. Es geht ja auch um Kompetenzen, könnte eingewendet werden.

Bei dem Video wird sehr schön sichtbar, wie absurd Diskriminierung ist. In Notfällen erst werden die Unterschiede nicht mehr sichtbar. Es muss geholfen und gerettet werden.
Freunde und ich diskutierten mal die Frage, ob wir einen blutenden Neonazi in einer Notsituation helfen würden. Einer ist Pfleger, der andere Arzt,d er dritte mittlerweile Jurist. Interessant war schnell der Umstand, dass es egal ist, wer da verblutet. Der Person MUSS geholfen werden.
Nachher erörterten wir die Frage nach der Wertigkeit, wenn noch andere Personen, die augenscheinlich nicht rechtsradikal sind, versorgt werden müssen. Auch da war wieder schnell klar, dass die Person, die am schwersten verletzt war, am eiligsten versorgt werden müsste.

Ein allgemeines Wissen kann niemand mitbringen, aber Erfahrungswerte und Nachfragen können in vielen Situationen helfen. Ich unterrichte oft Frauen mit Migrationserfahrung. Immer wieder lerne ich neues dazu. Beispielsweise bei Sensibilisierungsübungen, die ich immer wieder durchführe, dürfen sich Frauen aus manchen islamischen Ländern nicht in Gegenwart eines Mannes hinlegen. Damit die Frauen aber alle die gleiche Erfahung machen können, verlasse ich zwischenzeitlich den Raum und danach reflektieren wir wieder gemeinsam.

Ich werde nächste Woche wieder so eine Gruppe haben und mit ihnen diese Übung durchführen. Außerdem werde ich meine Kinder bitten, den Film zu reflektieren und hoffentlich auch eine Schulgruppe dafür gewinnen können.

Bis bald!
:o)
Philipp

Ines Pohlkamp

als Antwort auf Philipp Leeb

Hallo liebe Mitdiskutierenden,

Hier kommen meine ersten Gedanken zum Film/zur Methodik.

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH
Zunächst einmal einen herzlichen Glückwunsch für diesen wirklich sehr liebevoll gestalteten Film, der m.E. ein sehr lohnenswerter Beitrag für die Antidiskriminierungsarbeit darstellt. Ich habe ihn nun mehrmals geschaut und eigentlich bei jedem Mal mehr genossen, auch weil mir bei jedem Schauen mehr und mehr „kleinere Fehler“ und kleine Schönheiten auffallen. Diese zeigen sich jenseits der Kategorisierungen schon vor dem Crash. Wunderbar ist beispielsweise die Schildkröte, die grün und blau ist (oder?). Und auch das rauchende braun-orangene Tier im grünen Wagen (Anfangssequenz) zähle ich dazu.

FARBEN
Grundsätzlich mag ich die Idee mit den Farben, mit den Tieren, die Ausführung, die Zeichnungen (mein Lob an die_ Illustrator_in). Ich mag das Kuchen-Fest am Ende und die Tatsache, dass verschiedene Lösungen angeboten werden. Das Konzept bietet für eine Seminar-Gruppe, die sich einlässt, m.E. ausreichend Diskussionsstoff. Und mehr noch, man kann sehr verschiedene Diskussionsstränge anhand einzelner Bildsequenzen führen. Prima Sache!

VERWIRREND
Der erste Eindruck war allerdings sehr verwirrend: Auch ich finde, dass der Film zunächst schwer zu verstehen ist. Möglicherweise ist er sehr voraussetzungsreich und bedarf einer gezielten Vorarbeit mit den Teilnehmenden eines Seminars. Ich denke, dass dieser Film nicht selbsterklärend, Intersektionalität darstellt. Und dass er damit eher als eine Form der Visualisierung dienen kann.

GESUNDHEITSWESEN?
Geschmunzelt habe ich über die Tatsache, dass es vielleicht wichtig ist zu betonen, dass dieser Film nicht vom Gesundheitswesen handelt. Wie hier aber ja auch schon angemerkt wurde, eignet er sich doch sehr wohl auch für eine Kritik am Gesundheitswesen, oder? Was nun auch wahrlich kein schlechter Beitrag ist! Das ist zumindest ein Nebeneffekt der Bildwahl.

Es ist im Seminarsetting schließlich angezeigt, darauf hinzuweisen, dass diese „Unfallszenerie“ auch für andere Bereich gelten kann, wie im Film ja bereits betont wird. Also warum nicht auch vom Gesundheitswesen ausgehen? [Stichwort Rassismus, Sexismus und Transphobie in Krankenhäusern beispielsweise, mehrklassiges Gesundheitssystem etc.pp]. Das ist zumindest in der universitären Lehre oder in der Erwachsenenbildung ein durchaus gewinnbringendes Beispiel. Die Schwierigkeit besteht sicherlich darin, die verschiedenen Themen im Film dann in die eigene Lebenswelt der Seminar-Teilnehmenden zu übertragen. Da bin ich gespannt auf Eure Erfahrungen.

Ich unterstützte ebenfalls die Idee des Films, die Verletzungen in den Mittelpunkt zu rücken. „Verletzungen geschehen nicht nur bei Unfällen“. Das finde ich einen sehr schönen Ansatz, um die Diskriminierung mit den Gefühlen zusammen zu bringen und dem eigenen Erleben Raum zu geben. Somit ergäbe sich im Anschluss an diesen Film die Chance, sich über eigene Gefühle und eigene Widerfahrnisse auszutauschen. Je nach Seminargruppe kann dies sicherlich sehr gewinnbringend für die Auseinandersetzung mit Diskriminierung sein. Es kann dann auch zu einer Entpolarisierung von Opfer-Täter Dichotomien kommen, wenn die Diskussion günstig verläuft. Ich schließe mich also da dem Kommentar von Beate Flechtker an, dieses als Chance zu sehen.

ZIELGRUPPEN?
Und es wäre in der Tat interessant zu schauen, wie diese Methode sich für die unterschiedlichen Zielgruppen eignet. Das wird wohl die Bildungsarbeit mit der Methode zeigen müssen. Das Methodenblatt wäre dementsprechend auch für die verschiedenen Zielgruppen zu konzeptionalisieren...

MEHR FILMSTOPS
Neben der bereits erwähnten Vorarbeit zum Film, würde ich spätestens im zweiten Filmdurchlauf grundsätzlich das Tempo aus dem Film nehmen und womöglich den Film sogar öfter als ein oder zweimal stoppen. Damit würde allen die Gelegenheit gegeben, wahrzunehmen, was genau passiert. Welche Figuren liegen da verletzt? Welche Autos fahren in der Straße? Was läuft an Kommunikation?

Didaktisch böte dies verstärkt die Möglichkeit zwischen Beschreibung und Wertung zu unterscheiden. Ziel wäre dann, die Wahrnehmung zu schulen und eben den Film sehr genau gemeinsam zu schauen und gemeinsam zu analysieren.

HELIKOPTER
Weiß als jene Farbe zu wählen, die alle Farben aufhebt, die sich sonst in einem Prisma entfächern ist sicherlich nicht das günstigste Bild, um es mal vorsichtig auszudrücken. Weiß ist im postkolonialen Diskurs eben genau nicht jene Farbe, die blaue Krokodile rettet. Es ist die Farbe, die dazu beiträgt, dass Personen „auf der Strecke bleiben“ (auch wenn das streng genommen nicht so intersektional gedacht ist). Die Anregung von Beate Flechtker erscheint dahingehend komplexitätserhöhend und sinnvoll, wenn sie betont, diese Farbgebung des Helikopters als Anregung für koloniales und postkoloniales Gedankengut zu thematisieren.

Herzliche Grüße aus Bremen,
Ines

Caro Köhler

als Antwort auf Ines Pohlkamp

Hallo ihr Lieben,
zunächst einmal schliesse ich mich meinen Vorredner_innen an und möchte euch dafür loben, dass der Film sehr schön und liebevoll gemacht wurde.
Inhatlich mag ich vor allem, dass es einen Teil zu Selbstorganisierung gibt, das ist sehr empowernd. Grosser Fan, so wie Ines, bin ich ebenfalls vom Kuchen-Fest am Ende.
Was die Farbe des Helikopters betrifft, wurde schon Kritik geäußert, der ich mich anschliesse. Gleichzeitig finde ich den Vorschlag von Beate gut, diese Farbgebung zu thematisieren und problematisieren und auf den (post-)kolonialen Themenbereich zu sprechen zu kommen.


Im Folgenden nun mein Brainstorming zu verschiedenen Aspekten (Die Methode habe ich noch nicht anwenden können, von daher basieren meine Überlegungen auf reiner Theorieebene):

Ich habe den Eindruck, dass es gut ist, den Film mehrmals angucken. Es passiert inhaltlich recht viel, während gleichzeitig auch visuell einiges los ist: Es sind nicht nur viele Figuren im Bild, anhand derer Intersektionalität dargestellt wird, sondern es gibt eben auch weitere visuelle Aspekte wie die Autos, ebenso die Büsche und Hochhäuser im Hintergrund. Zumindest ging es mir so, dass ich den Film aufgrund seiner Fülle mehrmals angeschaut habe und es jedes Mal Neues zu entdecken gibt.
Ich denke, dass es hilfreich ist, den Film nicht als absoluten Einstieg ins Thema Intersektionalität einzusetzen, sondern erst nach einer theoretischen Einführung. Meiner Meinung nach stellt der Film eher die Vertiefung einer Einführung dar.


MÖGLICHKEIT 1 DER DURCHFRÜHRUNGSSCHRITTE
Wie gesagt, kann ich mir vorstellen, dass erst beim 2. Mal gucken bis 1:39 nochmal besser auf die Situationen geachtet werden kann, was genau passiert, wer sich für wen ausschliesslich zuständig fühlt und wie auf die Frage nach Unterstützung reagiert wird.
Eine gute Idee finde ich die Frage danach, wie der Film weitergehen kann.

Hier könnte auch schon die Frage gestellt werden, welche Vermutungen es dazu gibt, warum sich die grüne-Reptilien-Ambulanz nur für die grünen Reptilien zuständig fühlt, obwohl die Notlage der blauen Reptilien offensichtlich ist. Warum fragen die grünen Reptilien nicht nach, inwiefern sie den blauen Reptilien doch helfen können und überlegen gemeinsam mit den blauen Reptilien, wie sie diese unterstützen könnten? (Davon abgesehen, dass im Film eine Notfallsituation dargestellt wird, geht es ja nicht unbedingt immer um einen Notfall, in dem keine Zeit wäre, gemeinsam zu überlegen.) Warum gehen sie ohne zu Fragen davon aus, dass sie für die blauen Reptilien nicht "zuständig" sind?


THEMA DISKRIMINIERUNG
Weitere Fragen, die mir zu diesem Aspekt einfallen: Was könnte getan werden, dass sich auch blaue Säugetiere, rote und grüne Reptilien mit der Situation von blauen Reptilien auskennen und ihnen doch helfen / sie unterstützen können?
Was denkt ihr, wie es kommt, dass blaue Säugetiere sich nur auf die Situation von blauen Säugetieren fokussieren, anstatt sich z.B. auch mit der Situation von blauen Reptilien zu befassen?
(Und hierbei, wie unter dem Aspekt "Selbstorganisierung", dann auch auf die verschiedenen sozialen Bewegungen, Zusammenschlüsse, gemeinsame Organisierung, Solidarität, Überschneidungen eingehen.)
Welche Handlungsmöglichkeiten fallen euch ein, mit den eigenen Privilegien umzugehen (es gibt eine Ambulanz für rote Reptilien) und diese mit weniger privilegierten (es gibt keine Ambulanz für blaue Reptilien) zu teilen?

DAS ALLGEMEINE UND DAS SPEZIFISCHE
Weitere Fragen, die mir einfallen bezogen darauf, ob es eine allgemeine Ambulanz geben sollte oder nicht:
Warum kann es für manche Menschen wichtig sein, sich in einer Gruppe von Leuten zu organisieren / aufzuhalten (also eine eigene Ambulanz für blaue Krokodile aufzubauen), bei denen sie zunächst davon ausgehen können, dass ihnen gewisse gesellschaftliche Diskriminierungen nicht abermals wiederfahren ? (Stichwort "Safer Spaces" zb. Veranstaltungen die explizit nur für People of Color und Schwarze sind.) Was sind die Herausforderung bei Merhfachdiskriminierungen?


Ich bin gespannt auf die weiteren Kommentare!

Bis denn, Caro.

Beate Flechtker

als Antwort auf Caro Köhler

Ein Moin in die Runde,

ich möchte mich in diesem Kommentar rein auf das Methodenblatt beziehen. Insgesamt finde ich die beschriebenen zwei Möglichkeiten des Umgangs mit der Methode sehr anregend und vielversprechend im Sinne einer konsturktiven Auseinandersetzung um Intersektionalität. Ich hätte große Lust, sie mal auszuprobieren, finde derzeit aber keine Gelegenheit dazu.

Durchführungsschritte/Instruktionen
„Instruktionen“ klingt im Deutschen sehr harsch und widerspricht meiner Vorstellung von Bildung. Der Begriff hier ist womöglich dem EU-Englisch geschuldet oder aber der anderen Bildungsdiskussion im Englischen, wo „trainings“ eben „instructions“ nahe legen. Vielleicht könnte man hier einfach von „Vorgehen“ sprechen.

Auf der Webseite www.intersect-violence.eu findet sich eine etwas ausführlichere Diskussionsanleitung, die auch potenzielle Antworten und weitere Hinweise enthält.
Ich habe etwas länger gebraucht, die ausführlichere Diskussionsanleitung auf der Homepage zu finden. Wäre es möglich, hier einen direkteren Link zu legen? - zumal ich die Diskussionsanleitung sehr hilfreich finde.

Möglichkeit 1:
Habt ihr diese Möglichkeit schon durchgespielt, und wie hat es funktioniert? In der Antizipation der Übung (ich habe sie noch nie ausprobiert) stelle ich mir vor, dass hier viele Fragen (z.B. die bei euch unter Möglichkeit 2 beschriebene Frage, ob es um das Krankensystem ginge, s.u.) aufgeworfen werden, die womöglich verhindern, dass die Gruppen zeitnah nach dem Film loslegen können mit Überlegungen, wie der Film weitergehe. Ich stell mir vor, dass sie statt dessen diskutieren. Sagt ihr dann, diskutiert das in den Gruppen und versucht das, in eure Darstellung unterzubringen?

Fragen, die ich an dieser Stelle hätte: Was heißt eigentlich Verletzung? (- es geht nicht um das Krankensystem) Warum gibt es einerseits Spezialisierungen wie green reptiles, andererseits nicht, wie blue reptiles? Fehlt da einfach nur was? (Wäre eine äußerst banale Beantwortung der Frage um die „Gap“.) Gibt es einen Grund, warum Krokodile nicht Reptilien genannt werden?
Könnte vielleicht hier die Frage „Kennt ihr derartige Situationen? / Habt ihr schon mal erlebt, dass ihr verletzt wurdet, und niemand konnte oder wollte euch helfen?

Möglichkeit 2
Hattet ihr schon erlebt, dass Teilnehmende an dieser Stelle dachten, es handele sich um eine Kritik des Gesundheitswesens? Das würde mich erstaunen, denn ich glaube, dass der Film in seiner Gesamtschau sehr deutlich macht, dass es um Umgang mit Diskriminierungen geht (hingegen kann ich mir vorstellen, dass diese Frage aufgeworfen wird, wenn man ihn wie in Möglichkeit 1 nur bis 1:39 sieht, dass also dort der Hinweis nötiger wäre).
Insofern könnte man vielleicht insgesamt vorab oder aber zwischendurch eine Diskussion über „Verletzungen“ führen, wie und wann sie auftreten, was das mit den Menschen macht, verschiedene Wirksamkeiten ansprechen ...

Beate Flechtker

als Antwort auf Beate Flechtker

(Fortsetzung)

Thema Selbstorganisierung
Das finde ich richtig klasse, dass Selbstorganisierung mit dem Film zum Thema wird. Das scheint mir die große Stärke der Methode zu sein. (und, kleiner Nebeneffekt: Ich ertappe mich persönlich auch bei einer Vorstellung, dass Ambulanzen gefälligst zu kommen haben, da zu sein haben, mir gefälligst zu helfen haben.)

Hier könnte man evtl. auch etwas anbieten zum migrantischen Kampf um das kommunale Wahlrecht in Deutschland, das Ende der 1980er fast durchsetzbar erschien, dann aber von der Wende überrollt und (fast) verstummt wurde. Dabei sollte nicht der Verweis auf die Ein-Mann-Fahrrad-Demo eines Kreuzberger Bürgers ohne deutschen Pass fehlen. Er radelte zumindest noch 2011. Das macht aktuelle vermachtete Aushandlungskämpfe sehr deutlich, die noch dazu im Nahbereich spielen.

zu Das Allgemeine und das Spezifische: 2:30 – 2:40
spezielle: Welche Unterschiede macht es, einen allgemeinen Service wie den Helikopter zur Verfügung zu haben, im Gegensatz zu vielen verschiedenen Ambulanzen?

Hierbei gingen mir Fragen durch den Kopf, wie: Was kann überhaupt „Service“ sein? Was heißt eigentlich „Service“? Was weiß ich eigentlich über Anlaufstellen, Notruftelefone, Selbstorganisationen …? Vielleicht wäre es gut, hier einen Verweis auf derartige Organisationen (Liste?) zu machen oder aber eine entsprechende Rechercheaufgabe könnte sich anschließen.

zu Konsequenzen: 2:55 – 3:20
Der Film arbeitet mit der Begrifflichkeit Kategorien.
Was heißt überhaupt Kategorien? Geht es um Zugehörigkeiten, Zuschreibungen (das legt der Film nahe – dann wäre die Frage von Sichtbarkeiten wichtig), Identitäten? Hängt man im Gitter fest (sind Kategorien fest)? Sind Kategorien in allen Situationen wichtig (bin ich als Blau verletzt, oder als Krokodil oder als beides – Situativität)?
Welche „Kategorien“ fehlen und warum? Z.B. Sinti und Roma, die nicht großen monotheistischen Religionsgruppen … Haben sie keine Symbole oder kennen wir sie nicht, warum nicht? Will man immer sichtbar sein? Gibt es strategisches Sichtbarmachen? ...

[Der Helikopter ist weiß mit einer dünnen regenbogenfarbenen Linie. Weiß ist nicht nur die Farbe vieler Krankentransporter, es ist auch die Hautfarbe der Leute, die oftmals in ausbeuterischer Absicht und überheblicher Manier Schwarze Menschen und Menschen of Colour unterworfen, zur Arbeit gezwungen, misshandelt und umgebracht haben. Auch heute noch sind die Folgen des Kolonialismus auf vielen Ebenen zu sehen. Die Regenbogenfahne ist ein Symbol der Homosexuellenbewegung. Außerdem sind solche Fahnen auch mit der Aufschrift „Pace“ zu sehen. Wenn wir den Film noch einmal drehen würden, dann hätte der Helikopter eine andere Farbe als weiß.]
Super!

zu 5: Denken Sie mit den Teilnehmenden darüber nach, was diskutiert wurde, und ob dies etwas für sie bedeutet: Denkst du/Denken Sie, die Inhalte des Films sind relevant für deinen/Ihren Alltag?

Diese Fragestellungen würde ich um folgende erweitern: "Und was hat das mit der Gesellschaft zu tun, in der du lebst?"

Das zunächst.
Beste Grüße
Beate

Olaf Stuve und Mart Busche

als Antwort auf Beate Flechtker

Liebe Diskutant_innen,
vielen Dank für eure Kommentare!

Wir wollen nun versuchen auf den einen oder anderen Aspekt, der von euch in der Diskussion aufgebracht worden ist einzugehen, vielleicht auf die eine oder andere aufgeworfenen Frage eine Antwort aus unserer Perspektive zu geben. Vielleicht gelingt es uns auch Fragen zu fokussieren und damit noch mal eine weitere Runde in der Diskussion anzuregen.

ERFAHRUNGEN
Über diesen kleinen Video-Clip zu sprechen ist schon allein deshalb schön, weil immer irgendwer wieder einen ganz neuen Aspekt anspricht, den er_sie sieht. So hat beispielsweise eine Teilnehmerin eines Workshops mal auf die Giraffe und den Wolf (für uns war es bis dahin ein Fuchs) als die beiden Tiere aus der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg hingewiesen, die doch sicher auf die unterschiedlichen Kommunikationsweisen, die mit ihnen verbunden würden, verweisen würden. (Die Giraffe steht für eine einfühlsame und verantwortungsbewusste Kommunikation, der Wolf für eine anklagende und beurteilende Kommunikation.) Ein solcher Bezug war von uns (allein schon wegen unserer Unkenntnis in Bezug auf die Gewaltfreie Kommunikation) nicht beabsichtigt gewesen. Aber es passte irgendwie. Die Fragen, die sich uns aufdrängen, sind immer mehr die nach dem „WIE?“. Ohne eine Vereinheitlichung anzustreben wollen wir ein paar Überlegungen anstellen in Bezug auf das Sehen des Clips im Zusammenhang mit Intersektionalität.

Bislang kam der Film immer recht gut an, einerseits wegen der liebevollen Illustrationen, dem sichtbaren Bastelaufwand, dem Unperfekten, der aber dennoch eindeutigen Intention, Mehrfachdiskriminierung und Intersektionalität besprechbar zu machen. Der Film ist schnell, voll und dicht, so dass er sich tatsächlich erst beim mehrfachen Ansehen zunehmend erschließt. Wir haben ihn bislang vor allem Erwachsenen Personen aus der Bildungsarbeit, Studierenden und einem interessierten Fachpublikum gezeigt.

NICHT OHNE WEITERES
Wichtig ist, dass der Film eine frühe Metapher der Intersektionalitätsdebatte aufgreift: ein Unfall auf einer Kreuzung.
“Stellen wir eine Analogie zum Verkehr an einer Kreuzung her, der sich aus und in vier Richtungen bewegt. Ebenso wie der Verkehr an einer Kreuzung kann Diskriminierung sich in die eine oder die andere Richtung bewegen. Wenn ein Unfall an einer Kreuzung passiert, kann er durch Autos aus irgendeiner Richtung oder aus allen Richtungen verursacht werden. […] Manchmal deuten die Bremsspuren und Verletzungen darauf hin, dass Verschiedenes zugleich passiert ist, und Bemühungen zur Feststellung des schuldigen Fahrers sind vergeblich. In solchen Fällen wird zumeist kein Fahrer zur Verantwortung gezogen, keine polizeiliche Untersuchung durchgeführt, und die Beteiligten gehen zurück zu ihren Autos und fahren weiter.“ (Crenshaw 1989)
Damit entsteht in gewisser Weise ein doppeltes Problem: Über das gewählte Medium Film geschieht erstens eine bildhafte Reduktion komplexer gesellschaftlicher Verhältnisse, die zwar als Annäherung an einen komplexen Sachverhalt Assoziationsräume öffnet, diese aber auch vorstrukturiert. Zweitens greift dieses Medium auch noch eine sprachliche Metapher auf, die schon vielfach diskutiert worden ist. Die Stränge der Diskussion können nicht nachgezeichnet werden, so dass eine Weiterentwicklung der theoretischen Debatte unwahrscheinlich ist bzw. die Angebote des Films sogar hinter den aktuellen Stand zurück fallen.
Vorsichtig äußern wir den Wunsch, mit dem Film vielleicht eine didaktische Debatte innerhalb der Bildungsarbeit zum Thema Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung anzustoßen. Es ist in den Kommentaren richtig bemerkt worden, dass der Film Intersektionalität nicht ohne weiteres erklärt. Uns interessiert sehr, was sich hinter dem „ohne weiteres“ verbergen könnte. Was wird also gezeigt und damit sichtbar, und was wird nicht gezeigt und bleibt damit unsichtbar bzw. kann erst darüber „ins Bild gerückt“ werden, indem die „richtigen“ Fragen gestellt werden?
Um diesen Punkt weiter an die Debatte um Intersektionalität anzuknüpfen soll hier mit Gudrun-Axeli Knapp eine kleine Übertragung versucht werden:
„Oft funktioniert das methodisch über die schlichte Übung, ‚to ask the other question’ wie das Marin Matsuda genannt hat. ‚To ask the other question’ ist eine im Intersektionalitätsdiskurs auf spezifische Weise formatierte Erinnerung daran, dass wir mit unseren Analysen unweigerlich Abstraktionsschnitte vornehmen und dabei potenziell immer auch von etwas absehen, das in die Konstitution des Problems, das man untersucht, als wesentliches Element eingegangen sein könnte.“ (Knapp 2009, S 258)
Hier stellt sich die Frage danach, was gesehen wird und - vielleicht in einem übernächsten Schritt - was nicht gesehen wird. Der Hinweis von Ines Pohlkamp erscheint uns in diesem Zusammenhang besonders wichtig, dass es aus didaktischer Sicht vielleicht gut ist, deutlich zwischen Beschreibung (was sehen wir) und Bewertung zu trennen.

Olaf Stuve und Mart Busche

als Antwort auf Olaf Stuve und Mart Busche

(Fortsetzung)

(RE)KAPITULATION: VIEL, SCHNELL, VOLL
Wir lesen aber auch über die Verwirrung, die wir auch bei anderen erlebt haben, wenn wir den Film gezeigt haben. Der Film ist sehr schnell und dafür steckt dann zu viel drin. Die Verwirrung ist aber vielleicht auch genau das Interessante an dem Film, weil er sich im ersten Moment dadurch auch der kognitiven Analyse entzieht, die dann wirklich erst Schritt für Schritt nachgeholt werden muss. Mit dieser ausführlichen Analyse haben wir bisher auch noch zu wenige Erfahrungen gemacht, aber das wiederholte Anschauen brachte immer neue Details, Fragen und Erkenntnisse für die Zuschauenden. Die Strategien der Verlangsamung, des Anhalten, des Zwischendiskutieren, des vielleicht Weitererzählens sind bisher erst in Ansätzen erprobt und noch nicht systematisch ausgewertet worden. Vielleicht lässt sich eine Analogie zu komplexen Situationen des Alltags entwerfen, die sich ebenfalls erst durch nachträgliches und mehrfaches Rekapitulieren entschlüsseln lassen. Dabei können Rückgriffe auf andere Denkweisen (z.B. die mathematische Übertragung von Philipp Leeb) hilfreich sein oder auch die Frage „ Wo ist mir so was schon mal passiert?“, „Woher kenne ich das?“ oder „Welche Fragen werden intuitiv angestoßen?“ (z.B. der Frage nach der „Wertigkeit“ der Krokodile).
Interessant ist jedenfalls die Einschätzung von Caro Köhler, den Film nicht als absoluten Einstieg ins Thema Intersektionalität einzusetzen, sondern eher als Vertiefung einer theoretischen Einführung folgen zu lassen. Wie könnte so eine Einführung dann aussehen? Wir hatten ja ein bisschen gehofft, eine Möglichkeit zu schaffen, sich die Theorie entlang des Filmes zu erarbeiten. Aber dazu fehlen vielleicht noch entsprechende Verweise und Auszüge aus Texten der Intersektionalitätstheoretiker_innen?

Olaf Stuve und Mart Busche

als Antwort auf Olaf Stuve und Mart Busche

(Fortsetzung)

ÜBER UND UNTER DEM PFLASTER: VERLETZUNGEN
Zentral scheint auch uns der Begriff der Verletzungen, die nicht nur im Straßenverkehr geschehen, sondern auch im alltäglichen Leben unter dem Vorzeichen gesellschaftlicher Diskriminierungs- und oder Dominanzverhältnisse.
Unser Verständnis von Verletzungen ist eines, mit dem wir davon ausgehen, dass Menschen in gesellschaftlich hierarchisch angeordneten Verhältnissen alltäglichen Widerfahrnissen ausgesetzt werden, die mit unmittelbaren Gewalterfahrungen/Diskriminierungen verbunden sind: z.B. keine Wohnung zu bekommen, weil der eigene Name dem_r Vermieter_in nicht passt, als Person mit bestimmten Zugehörigkeiten und Erfahrungen nicht in einem Gespräch vorzukommen oder in den Medien nicht repräsentiert zu sein, selbst die eigene Wirklichkeit verleugnen zu müssen, weil etwa die heteronormative Atmosphäre in einem Gespräch deutlich nahe legt, allein von einer_m heterosexuellen Partner_in zu erzählen oder eine körperliche Behinderung zu haben, die zur Fortbewegung einen Rollstuhl erfordert, von anderen aber ignoriert wird, um der Rolli-fahrenden Person eine „Quasi-Normalität“ zu suggerieren, in der doch alle „gleich wären“. Diese Produktionsbeziehungen in der Herstellung von ‚Normalität und Abweichung‘, von ‚Zentrum und Rand‘, von ‚dazugehörig und nicht-dazugehörig‘, von ‚mit Rechten ausgestattet und rechtlos‘, von ‚gehört und nicht-gehört werden‘, bezeichnen wir in Anlehnung an María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan mit dem Begriff der „epistemischen Gewalt“ (siehe dazu auch unseren Schlüsseltext hier auf dem Portal). Die hierarchischen Anordnungen werden über Gewalt und Diskriminierung stabilisiert bzw. reproduziert und können im Extremfall in die Eliminierung der Anderen münden.
In diesem Sinne scheint uns die Frage danach, was die Krokodile wohl denken, warum das passiert, was ihnen gerade widerfährt, sinnvoll, um zum Beispiel herauszuarbeiten, dass sie vielleicht auf die Idee kommen könnten, dass sie selbst daran Schuld seien, dass sie nicht mitgenommen werden.

Mit dem Bezug auf die Herstellung und Stabilisierung von Dominanzverhältnissen scheint uns das Beispiel von Philipp Leeb in die Irre zu führen, wenn er das Bild der Unfallverletzung auf eine ethisch-moralische Ebene bringt, in dem gefragt wird, ob einem verblutenden Nazi geholfen werden sollte. Uns scheint diese Erste Hilfe-Praxis eine andere zu sein als die, bei der es um Verletzungen im Kontext gesellschaftlicher Hierarchieverhältnisse geht. Wenn wir die Diskussion über verletzte Neonazis aufgreifen, dann insofern, als dass sie gerade alle Dominanzverhältnisse für sich in Anschlag bringen, um die Verhältnisse zu Gunsten ihrer eigenen Dominanz und auf Kosten (zum Teil des Lebens) anderer durchzusetzen versuchen. Wir denken, dass im Fall des Neonazis nicht von einer strukturellen Diskriminierung ausgegangen werden kann und sich eher Intersektionen von Privilegien finden (weiße Haut, Männlichkeit, europäische Staatsbürgerschaft etc.). Falls hier nun ein Bild sozialer Marginalisierung aufgerufen wird, so widersprechen wir diesem. (Am Rande sei bemerkt, dass wir augenblicklich auch diskutieren, ob es sinnvoll ist den Zusammenhang von Rechtsextremismus und Männlichkeiten mit einer intersektionalen Perspektive zu bearbeiten, um mit deren Hilfe „unterschiedliche rechtsextreme Attraktivitäten“ für gesellschaftlich verschieden positionierte Männlichkeiten herauszuarbeiten. Dies erschiene uns für eine Rechtsextremismuspräventionsarbeit von Bedeutung.)
Dennoch stellt sich berechtigterweise die Frage, ob das Nicht-Behandelt-Werden der blauen Krokodile etwas mit ihrem gesellschaftlichen Ansehen bzw. mit gesellschaftlicher Marginalisierung zu tun haben könnte. Die Vermutung, dass die Krokodile zu einer Minderheit gehören oder marginalisiert sind, und deswegen „übersehen“ werden, liegt nahe. Wir fänden es jedoch bedenklich, wenn diese Stelle im Film im Bildungssetting dazu aufrufen würde, gesellschaftliche Stereotype zu reproduzieren. (Aber das wundert Euch wahrscheinlich jetzt nicht :-) Hier könnte auch die Frage, die Caro Köhler aufgeworfen hat, ins Spiel kommen: In wie fern stricken auch die Ambulanzmitarbeiter_innen am Dominanzsystem mit, z.B. in dem sie sich darauf berufen „nur ihren Job zu machen“ und für nichts anderes als eine spezifische Gruppe von Betroffenen zuständig zu sein.
Insgesamt können einige von Caros Fragen zur Erweiterung des Methodenblatts beitragen.

Olaf Stuve und Mart Busche

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TO BE CONTINUED:

Könnt Ihr Euch vorstellen, den Film auch als Anregung für Biografie-Arbeit zu nutzen? Also in den eigenen Familien ganz konkret nach Beispielen für intersektionalen Widerstand gegen bestimmte Verhältnisse – auch im ganz Kleinen – zu forschen? Oder die eigene Biografie nach kleinen Sequenzen des Sich-Wehrens zu durchforsten?

Was denkt Ihr eigentlich zu den ganzen Ambulanzen, die bei „Möglichkeit 3: Alle kümmern sich“ auftauchen („General Support“, „Kuchen“, „Blut“, etc.)?

Wir würden uns noch mehr konkrete Hinweise auf intersektionalen Widerstand, Self-Empowerment und Organisierung interessieren. Habt Ihr noch Beispiele dazu, die den Film anreichern?

Beate, wer ist dieser Demo-Radler, von dem Du schreibst? Hast Du dazu Material? Das Beispiel klingt ziemlich interessant!

Soweit erst einmal von uns. Wir freuen uns über weitere Kommentierungen. Gerne können sich alle in die Diskussionen und Weiterentwicklungen einklinken. Meldet euch einfach bei uns.

Herzliche Grüße, Mart und Olaf

Beate

als Antwort auf Olaf Stuve und Mart Busche

zum Demoradler
siehe: http://www.tagesspiegel.de;art270,2909015?_FRAME=33&_FORMAT=PRINT
Leadtext "Er fordert das Wahlrecht für Ausländer: Aydin Akin kämpft um Aufmerksamkeit – als radelnde Littfaßsäule. In 16 EU-Ländern können alle Ausländer an Kommunalwahlen teilnehmen. Warum sollte das also in Deutschland nicht möglich sein?"

Beste Grüße
Beate

Philipp Leeb

als Antwort auf Beate

Schönen guten Abend aus Wien,

ich habe nun mit drei Gruppen den Film angesehen.

Die erste Gruppe waren albanische Lehrer_innen in Tirana, die ich in einem Genderimplemetierungs-Projekt seit 2009 begleite. Sie waren vom Video begeistert und thematisierten die schwierige Versorgungslage in Albanien generell. Nur bei guter Versicherung wären ärztliche Leistungen gewährleistet. Die Romanes-Bevölkerung würde dortzulande schwer benachteiligt sein, obwohl sie im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Ländern durchaus innerhalb urbaner Gebiet frei leben.

Die zweite Gruppe bestand aus Teilnehmer_innen eines Lehrgangs für "Lebenbegleiterin für Kinder" (eine Art Kindergruppenbetreuerin-Ausbildung in Kurzform), wo ich u.a. Jungenarbeit unterrichte. Fast alle Personen hatten Migrationserfahrungen aus den Ländern Ägypten, Afghanistan, Türkei, Polen, Serbien und dem Irak. Sie alle erzählten von marginalisierenden Erfahrungen in Österreich. Manche hatten akademische Ausbildungen und wurden allesamt vom Arbeitsmarktservice für sogenannte Facilty-Arbeiten vermittelt mit der Begründung, dass deren Ausbildungen in Österreich nicht nostrifiziert (was sich angeblich bald ändern soll) werden und Frauen mit Kopftuch in Wien sowieso immer putzen gehen. Selbst bei guten Deutschkenntnissen werden sie von Ämtern oft abgeschasselt, weil diese angeblich nicht für sie zuständig sein sollen.
Selbst die (in Wien sehr erkannte und geschätzte) pädagogische Ausbildung, die sie derzeit erhalten, wird von ausgebildeten Kindergartenpädagog_innen nicht respektiert und sie sollen sich auf Wickel- und Essdienste konzentrieren. Als Mütter erzählen einige, dass ihre Kinder gezielt in Schulen umgeleitet werden.
All diese Assoziationen haben euer Video bei ihnen hervorgerufen und in Bezug auf Selbstorganisation haben sie beschlossen, ihr Wissen in positiven Fällen an andere Migrantinnen weiterzugeben. Die jüngeren würden ihre Kontakt auf Facebook o.ä. dazu nutzen. Der große Wunsch bleibt für sie aber eine generelle Stelle, die solche Probleme berücksichtigen solle. Seit kurzem gibt es in Österreich einen Integrationsstaatssekretär...

Die dritte und letzte Gruppe waren meine Kinder. Ihnen gefiel die Machart. Sie meinten, bei uns gibt es auch verschiedenfarbige Rettungsautos und sie wussten gar nicht, dass die für verschiedene Leute da seien. ;-)
Sie fanden es einfach ungerecht und blöd. Ich klärte sie natürlich auf, wobei mir bei der Erklärung auffiel, dass ich gar nicht wusste, nach welchen Kriterien ein Rettungseinsatz überhaupt Priorität erhält.

Ja, ich merke, ich bin so ganz unakademisch bei kommentieren und hoffe, das passt so... ;o)

Ich wollte euch nicht in die Irre führen. Interessant finde ich jedoch, dass Neonazis nicht strukurell diskriminiert werden können. Das klingt ein bisserl nach Tabuthema, aber ich denke da vielleicht auch in eine falsche Richtung.
Ich hatte vor einigen Jahren einen Schüler aus der Neonazi-Szene, um dem ich mich ein Jahr recht intensiv kümmerte. Bei ihm stellte ich einige strukturelle Benachteiligungen fest. Seine äußerliche Darstellung war eindeutig, er war ein Mitläufer und im Schulsystem war er schnell einmal unten durch. Wir waren die letzte Schule, die ihn bedingungslos aufnahmen. Vielleicht sogar eine "intersektionale Ambulanz". Wir haben ihm sehr gut getan, vor allem die Begegnung mit anderen Kids aus dem "äußerem" Spektrum, wie beispielsweise ein Schüler, der als Kind aus dem kongolesischen Bürgerkrieg kam.

Wäre auch spannend weiterzudiskutieren. Ich merke, ich brauche hier ein Gegenüber und kein beschreibbares Kommentarfeld. :-)

Ein Servus zur Nacht!
:o)
Philipp

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