Problem: Gewichtung der Kategorien

Intersektionalität ist ein Paradigma, mit dem die Wechselbeziehungen von Dimensionen sozialer Macht-, Herrschafts- und Normierungsverhältnisse wie Geschlecht, soziales Milieu, Migrationshintergrund, Nation, Ethnizität, 'Rasse', sexuelle Orientierung, Behinderung, Generation et_cet_era. fokussiert werden.

Diese Dimensionen sozialer Ungleichheit werden als soziale Konstruktionen konzeptualisiert, welche nicht isoliert voneinander analysiert werden können, sondern in ihren Überschneidungen (intersections) oder Wechselverhältnissen (Interdependenzen/interdependenten Kategorien) untersucht werden müssen. Additive Perspektiven sollen überwunden werden, indem der Fokus auf das gleichzeitige Zusammenwirken von sozialen Ungleichheiten bzw. Positionierungen gerichtet wird.

Die gleichzeitige Berücksichtigung mehrerer sozialer Kategorien generiert allerdings spezifische Problemstellungen bzw. Fragen: Wie viele soziale Kategorien müssen in eine intersektionale Analyse einbezogen werden? Sind mit Geschlecht, Ethnizität oder sozialem Milieu die wichtigsten Kategorien bzw. Machtverhältnisse benannt oder müssen weitere Kategorien aufgenommen werden? Wie dokumentieren sich bereits in der Reihenfolge von Benennungen Hierarchien zwischen sozialen Kategorien? Wird bspw. Geschlecht immer zuerst genannt oder Behinderung nur sehr selten problematisiert? Welche soziale Kategorien werden relevant gesetzt, welche auf ein 'etc.' reduziert?

Im wissenschaftlichen Feld werden diese Fragen kontrovers diskutiert. Sie sind nicht zuletzt deshalb relevant, da uns Formate wie Artikel, Vorträge oder freie Rede zu einer linearen Darstellung bzw. Reihung von Kategorien zwingen: man kann nicht mehrere Kategorien im selben Moment benennen. Dieser Zwang zur linearen Gestaltung von Texten könnte allerdings durch die besondere Struktur von Hypertextformaten erweitert bzw. herausgefordert werden.

Entgegen dem etablierten linearen Textverlauf bietet Hypertext potenziell eine flüssige Struktur an, die einer Weiterentwicklung zugewandt bleibt (Berressem 1996,112f). In kulturwissenschaftlichen Publikationen über Hypertext wird daneben die Verwirklichung eines neuen Verhältnisses zwischen Textproduzent_innen und Lesenden angenommen (Landow 1997, 57). Unter Verweis auf dekonstruktivistische Theorieansätze wird Hypertext hier bspw. verglichen mit einer 'rhizomatischen Struktur' (vgl. Deleuze/Guattari 1977; Berressem 1996, 110ff; Mayer/Schneck 1996), die Lesenden die Möglichkeit bietet, nach eigener Interessenslage den Textverlauf selbst mitzubestimmen (Landow 1997, 55; Krajewski 1996). Auf diese Weise, so die artikulierte Hoffnung in wissenschaftlichen Texten über Hypertext, werden Lesende partizipativ eingebunden. Die hierarchische Struktur linearer Textformate, welche die Lesenden als reine Konsument_innen versteht, wird durch eine Textualität ersetzt, deren Sinnhaftigkeit auch durch die Handlung der Lesenden kreiert wird. Durch die offen gehaltene Struktur der Hyperlinkvernetzung erfahren sich die Teilnehmenden als Umweltgestaltende, die aktiv Einfluss auf die Konstruktion sozialer Wirklichkeit ausüben können (Berressem 1996, 11; Nestvold 1996, 25).

Anhand des Projektes 'Interdependenzen und Hypertext' wird die Frage gestellt, ob die Grundidee von Intersektionalität – nämlich die Vernetzung bzw. Wechselbeziehungen sozialer Kategorien – durch Hypertextstrukturen besser abgebildet bzw. bearbeitet werden kann.